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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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in Frieden. Sieh dir bloß meine schiefen Sohlen an! Mit diesen Schuhen komme ich nicht bis ins nächste Dorf!«
    Sie waren müde und alt; unbeweglich, nicht zu gebrauchen.
    Tante Hannah klagte und nörgelte. Alles war schmutzig, un-aufgeräumt. Hoffnungslos. Wir vertrödelten Tage.
    Iris’ Kopfschmerzen nahmen zu; ich war erschrocken über diese Schmerzen, die sie so elend machten, blaß, unbeweglich, die sie auf der muffigen Matratze liegen ließen, eine feuchte Binde über den Augen. Die deutschen Truppen rückten näher.
    Die Bedrohung nahm zu. Mit jedem Tag wuchsen unsere Angst und Ratlosigkeit. Selbst die Großeltern verloren ihre Apathie.
    Opa begann, auf Amos zu schimpfen. Es war ein bekanntes Lied, aber diesmal hatte sich der Text geändert.
    »Ach, was habe ich nur für einen Sohn! Warum bringt er uns nicht weg? Er hat doch ein Fahrzeug.«
    »In Danzig wird gekämpft«, sagte Oma. »Er kann jetzt nicht kommen. «
    »Wenn es ihm wichtig wäre, könnte er. Auf den Burschen war ja nie Verlaß! Es war ein Fehler von mir, ihn ins Geschäft zu nehmen. Ein großer Fehler, das sehe ich jetzt ein. Hätte ich das nicht getan, wäre vielleicht alles ganz anders.«
    Mir war, als erhielte ich einen Schlag in den Magen. Ich schrie ihn an, aufgelöst vor Wut.
    »Opa, das ist gemein! So darfst du nicht reden!«
    Opa zitterte immer ein wenig. Jetzt zitterte er stärker.
    »Was schreit die Göre?«
    Oma gab mir ein Zeichen, zu schweigen.
    »Taddeuz, du bist müde, geh schlafen«, sagte sie sehr sanft.
    Als er im Bett lag, sagte sie zu mir:
    »Sei ihm nicht böse, er ist nicht ganz klar bei Verstand.«
    Iris arbeitete still den ganzen Tag, sie wusch, flickte, bügelte mit Kohlen im Bügeleisen. Sie stopfte Strümpfe, erneuerte das Futter in den Kleidern, nähte in die Mäntel tiefe Taschen ein.
    Sie machte sich für die Reise bereit. Eines Nachts wachte ich auf, schweißgebadet. Ich hatte etwas geträumt, etwas, das keinen Sinn ergab. Brüllende Flammen und knatternde Gewehre, unruhige Muster in flackerndem Schwarzweiß, seltsame Gebilde aus Menschenleibern und Schutt. Ich zitterte am ganzen Körper, meine Haut kribbelte. In meinem linken Knie war ein stechender Schmerz. Ich murmelte unablässig ein Wort vor mich hin, nein, nein, nein, und bei jedem Wort schlug ich mit den Armen wild um mich. Iris streichelte und beruhigte mich.
    Schlaf, es ist nichts, du hast schlecht geträumt. Bald schlief ich wieder ein, aber am nächsten Morgen hatte ich immer noch Schmerzen. »Du hast schlecht gelegen«, sagte Iris und massierte mir das Bein. Da beruhigte sich der Schmerz allmählich, aber nicht ganz. Mir war kalt, so entsetzlich kalt. Der Gedanke, mir Gesicht oder Hände zu waschen, machte mich frösteln. Ich saß draußen in der Sonne, blaß wie eine Tote, und klapperte mit den Zähnen.
    Es war Ende Juni. Vollmond. Weiß und gespenstisch hing er über dem Birkenwald. Es roch nach Holzkohle, nach warmer Erde. Wir saßen auf Stühlen vor der Haustür. Das ferne Grollen hinter den Hügeln, das Flackern der Flugabwehrgeschütze gehörten längst zu den Geräuschen, die wir kannten. Wir alle befanden uns in einem Zustand der Angstgewöhnung, wie die Kaninchen und die Wildenten die von den Bauern gejagt wurden. Wir saßen also da, teilnahmslos, als im Mondlicht zwei Gestalten den Weg hinauf kamen. Ein Mann und ein Junge. Sie sahen nicht aus wie Bauern. Mein Atem stockte. Ich sprang von meinem Stuhl auf. Amos? Ein Hund bellte, eine Frau kam aus dem Kuhstall. Der Mann fragte sie etwas. Die Frau streckte den Arm aus. Beide Gestalten kamen auf uns zu. Jetzt sahen wir sie deutlicher. Der Mann war noch jung, hochgewachsen und schmal. Seine Haltung, seine schnelle, elastische Art, sich zu bewegen, erinnerte mich an Amos; aber es war nicht Amos, ich sah es jetzt; in der linken Kniescheibe spürte ich ein Klopfen, das stärker wurde. Ich lehnte mich an die Mauer. Ich durfte jetzt nicht allzu viele Bewegungen machen.
    Sie kamen näher. Beide trugen Mäntel und hatten Rucksäcke bei sich. Oma, die nachtblind war, kniff die Augen zusammen.
    Plötzlich rief sie:
    »Aber das sind ja Michael und Yasha. Gott segne euch, Kinder! Wie habt ihr den Weg zu uns gefunden?«
    Ihre Stimme: ein Zittern zwischen Angst und Freude. Später erfuhr ich, daß Michael und Amos die gleiche Schule besucht hatten. Michael war zwei Jahre jünger. Sein Vater, Simon Cohen, war einer von Opas wenigen guten Freunden. Michael studierte Medizin, als der Krieg ausbrach. Sein Bruder

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