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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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War er tot? Gefangen? Nein, Amos nicht. Niemals.
    Dafür war er zu mutig, zu schlau. »Du weißt Dinge, die du uns nicht sagen willst«, hatte ich damals im Wintergarten zu ihm gesagt. Jedes Wort, jede Bewegung haftete in meinem Ge-dächtnis – bis zu jenem Augenblick der Glückseligkeit und des Schmerzes, als er mich küßte. Mein ganzes Leben lief auf diesen einzigen Punkt zusammen, kleiner in Raum und Zeit als der kleinste Stecknadelkopf – für mich das Universum selbst. Was hatte Amos damals gewußt? Was hatte er gesehen? Es mußte etwas ganz Schlimmes, ganz Furchtbares sein. Auf einem Spaziergang fragte ich Iris danach. Sie seufzte tief auf, als ob ihr ein Gewicht auf dem Herzen lag. Früher hatte sie mit mir über alles gesprochen. Doch nun schüttelte sie den Kopf.
    »Still, Lea! Ich mag nicht darüber reden. Du bist noch zu jung.«
    Zu jung? Ich wußte nicht mehr, wie man lebt, wie man spielt, wie man lacht. Ich liebe dich, seit ich denken kann, Amos.
    Hundert Jahre mindestens. Das ist eine sehr lange Zeit. Und sie wächst täglich in mir.
    »Aber ich werde vierzehn!«
    »Ja, und ich habe kein Geburtstagsgeschenk für dich.«
    Sie sah nichts. Ihre Blindheit tat mir weh. Sie behandelte mich wie ein Kind. Und ich war hundert Jahre alt.
    25. Kapitel
    D ie Lebensmittel wurden knapp. Die Bauern behielten ihre Vorräte für sich. Es war immer Iris, die sie um Eier oder Milch bat. Die Bauern verhandelten unverschämt. Aber Iris hatte ihre freundliche, liebenswerte Art. Sie lächelte, spielte mit den Kindern, sie nähte und strickte für sie. Die Bauern gaben ihr etwas Brot oder ein Stückchen Speck. Manchmal hatten wir Mehl, manchmal Bohnen, von Würmern zerfressen, aber meistens nur Schweinekartoffeln, aufgeplatzt und blaugrün. Einmal bekam ich die Haut gekochter Milch als Brotaufstrich. Ich würgte und übergab mich. Das Leben in der Enge war für die Familie schwer zu ertragen. Opa wartete immer nur auf die Nahrung.
    Diese Beschäftigung nahm seine ganze Zeit in Anspruch. Er schlang das Wenige hinunter, das man ihm vorsetzte, und wartete auf das nächste Essen. Auf nichts anderes. Tante Hannah war einen aufwendigen Lebensstil gewöhnt. Jetzt redete sie nicht mehr wie in einem Salon. Es kam zu häßlichen Szenen.
    Tante Hannah warf Iris vor, daß sie den jüdischen Glauben verlassen hätte. Iris sagte nichts; sie sparte ihre Kräfte. Der Kampf, den man ihr anbot, interessierte sie nicht. Der, den sie zu führen hatte, beanspruchte sie mehr. Er war so geringfügig, dieser Familienkrach, so lächerlich unwichtig. Oma blieb heiter, wie abgelöst von allem. Sie stammte aus der Gegend der Masurischen Seen. Ihr Zeitbegriff hatte sich verschoben. Ihr Leben in Danzig war wie ausgelöscht. Ihre Kindheit kehrte wieder, schillerte vor ihr wie in einer Kristallkugel. Zweiund-siebzig Jahre war das her. Sie erzählte von dem »Schtetl«, in dem sie geboren worden war, überbevölkert, von Pogromen bedroht. Aber davon sprach sie nicht. Sie sprach von ihrem Vater, der Rabbiner war. Von den sechshundertdreizehn Geboten und Verboten, die den Alltag der frommen Juden bestimmten. Von dem Dybukk, dem bösen Dämon, der sich in Mann oder Frau, Pferd oder Hund, Vogel oder Fisch verwandeln konnte. Von den Hochzeiten und den Begräbnissen; sie sang mir mit brüchiger Stimme alte Lieder vor. Viele hörten sich lustig an, andere so traurig, daß mir die Tränen kamen. »Ada, wie kannst du nur singen?« empörte sich Tante Hannah. »In unserer Lage!«
    »Wenn ich nur mein Klavier hätte«, seufzte Oma. »Du warst ja dabei, Hannah, als sie es zertrümmert haben…«
    Immer noch kein Lebenszeichen von Amos. Der Frühling kam. Die Deutschen rückten an allen Fronten vor, aber die Partisanen hielten die Städte; man kämpfte um jede Straße, um jeden Häuserblock. Fast jeden Tag hatten wir Fliegeralarm.
    Geschwader zogen am Himmel vorbei. Wenn sie tief flogen, erschütterte ein entsetzliches Brummen die Erde, es kam von überall her, dieses Brummen, vom Himmel, von den Hügeln, von der Erde selbst. Dann gingen wir in den Keller, hielten den Atem an. Manchmal schliefen wir auch dort. In manchen Augenblicken wurde Iris von fieberhafter Unruhe gepackt.
    »Sie kommen, wir müssen weg, Vater!«
    »Wohin?« murmelte Opa. »Hier haben wir immerhin ein Dach über dem Kopf. «
    »Bitte, Vater! Wir können nicht mehr warten! Komm, Mutter. Steh auf! Willst du mir nicht beim Packen helfen?«
    Sie saß auf ihrem Stuhl, wie angenagelt.
    »Kind, laß mich

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