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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Frieden. Eine letzte Anstrengung noch – ich lag in seinen Armen. Für immer.
    26. Kapitel
    H anako, an diesem Abend habe ich darüber gesprochen. Ich hatte diesen Schmerz im Knie, wie so oft. Wenn ich wirklich traurig bin, kann ich nicht weinen, aber das weißt du ja inzwischen. Man hat mir gesagt, es wäre besser; ein Weinen, das von den Nerven kommt, erleichtert. Aber ich kann es nicht mehr.
    Seit Amos’ Tod habe ich nie mehr eine Träne vergossen. Ich habe Amos in meine Nähe gerufen. Deshalb ist er mein Lehrer geworden. Das wird bleiben, ewig. Alle Gefühle, die das Wort nicht ausdrücken kann, bringt die konkrete, stoffliche Sprache des Körpers zum Vorschein. Schmerzen im Knie: Ich weiß, daß du da bist, Amos. Wie schön, daß ich dich spüre!
    »Kanashii-no?« – Bist du traurig? hat mich Hanako an diesem Abend gefragt. Da habe ich die Geschichte erzählt. Wie reden Mädchen, die in einer anderen Sprache denken und träumen? Sie blättern im Wörterbuch, sie suchen, sie flüstern. Eine Geheimsprache, wie die Sprache der Bienen oder der Liebenden, eine Poesie, die genau im Bereich dessen aufgeht, was nicht zu den Worten gehört. Als läge es in der Natur dieser Gefühle, nicht ausgedrückt werden zu können.
    Ich sagte zu Hanako:
    »Kein Mensch kennt diese Geschichte, nur du.«
    »Nur ich?«
    »Ja.«
    Wir tauschten einen Blick, ein kleines Schulterzucken, ein Lächeln. Und später an diesem Abend schlossen wir das Fenster, ließen das Grammophon laufen, leise, leise, damit die Nachbarn es nicht hörten. Es ist gegen die Vorschriften, sagte Hanako, mit einem Blinzeln in den Augen. Ich legte eine Schallplatte auf, einen langsamen Walzer. Wir tanzten, sachte und verträumt; die Matten federten unter unseren Füßen. Wir hielten uns eng umschlungen. Hanako konnte nicht tanzen. Ich zeigte ihr die Schritte, ich leitete sie. Ihr Körper war biegsam, warm. Ihr Nacken, weiß wie Sahne, duftete nach frischer Haut, nach sauberem Haar. Wir tanzten, Wange an Wange, und schlossen die Augen dabei.
    Weißt du, Hanako, es war eine seltsame Nacht, damals, als wir die Totenwache hielten. Amos war längst unter der Erde. In dieser Nacht, wie in jeder Nacht, fiel der Strom aus. Die »Sha-masch«, die gottesdienstliche Kerze, begleitete die Gebete, die mein Großvater mit zitternder Stimme sang. Er sprach mit Amos, als ob er inmitten von uns auf der Bahre läge. Er ballte die Fäuste, hämmerte gegen seine Brust und kratzte sich die Wangen blutig. Tränen liefen unter den zerknitterten Lidern hervor. Im Rhythmus der Atemzüge schüttelte ein heiseres Röcheln seinen Brustkorb.
    »Verzeih mir, mein Sohn, verzeih mir, wie Gott mir verzeihen möge! Ich habe dir Unrecht zugefügt, dich beschuldigt, dir harte Worte gesagt. Verzeih mir, ich bin nur ein Mensch.«
    Auch Oma betete, schmerzerregend in ihrem stummen Jammer, und auch Michael, versteinert im Schmerz, und Iris, blondhaarig und Amos, ach, so ähnlich. Und Tante Hannah, händeringend und zerzaust, während Yasha, ein stummer Anblick des Schreckens, nicht ein einziges Mal die Lippen bewegte. Später machte Oma Feuer im Ofen, rührte eine Suppe an. Ihr Gesicht war aschfahl, aber sie hatte zu tun, das lenkte sie ab.
    Sie war, in all ihrer Sanftheit, eine resolute Frau, und Opas Wehklagen ging ihr auf die Nerven.
    »Du machst dich bloß krank, Taddeuz. Die Toten haben Ohren. Amos weiß, daß du es bereust. Du brauchst ihm die Dinge nicht gleich fünfmal zu sagen, das hat er nie ertragen können.«
    Der Mond ging unter, orangefarben, riesengroß. Der erste Schein der Dämmerung strömte aus dem Osten, schimmerte hinter den Hügeln in leuchtendem Grau. Die Kanonen waren verstummt; sie schwiegen manchmal, in den frühen Morgenstunden. Wir schlürften die Suppe. Mit dem grauen Tageslicht, dem Zwitschern der Vögel, kam der Moment, mit dem das Leben wieder die Oberhand gewann. Yasha aß gierig, das kreidige Gesicht über seine Schüssel gebeugt.
    »Schmeckt es dir, Kind?« fragte Oma mit müdem Lächeln.
    Yasha nickte, stumm und starr.
    »Er spricht nicht mehr«, sagte Michael. »Auch nicht mit mir.
    Aber Geige spielen, ja, das tut er manchmal.«
    Er wandte sich an den Jungen.
    »Spiel, Yashale! Wir sind alle sehr traurig. Wir brauchen dich jetzt.«
    Der Junge wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
    Er erhob sich, öffnete mit feinem metallischem Schnappen das Schloß des Geigenkastens. Seine Gesten waren behutsam und gleichzeitig von traumhafter Sicherheit erfüllt. Er hob

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