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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Yasha war etwa in meinem Alter, vierzehn, und erschreckend dünn. In meiner Erinnerung ist seine Gestalt verschwommen, fast nicht vorhanden. Ich weiß nicht einmal mehr, ob er wirklich blond oder nur eben hell war. Nur das Gesicht sehe ich deutlich vor mir: ein Gesicht wie ein Erwachsener, abgezehrt und traurig und so weiß, als ob es gepudert wäre. Und was mir sofort auffiel, was mir so ungewöhnlich vorkam, war, daß er einen Geigenkasten unter dem Arm trug. Und dieser Anblick war es, was mir einen Schauer über die Haut jagte: Der kleine Geigenkasten erinnerte mich an einen Sarg. Oma indessen umarmte beide, fragte, ob sie Milch trinken wollten. Yasha nickte stumm. Seine Augen blickten stumpf. Oma ging in die Stube, machte sich in der Dunkelheit zu schaffen. Bei Tagesanbruch würde Iris zu den Bauern gehen, wenn sie die Kühe molken, und dann, vielleicht, mit einer vollen Kanne zurückkommen.
    Michael schwitzte; er war viel zu warm angezogen für die Jahreszeit. Ich stellte fest, daß er ein gutaussehender junger Mann war – kein hübscher, dazu waren seine Züge zu kantig.
    Ich dachte, er soll doch etwas sagen, aber er kratzte sich zwischen den Brauen und schwieg. Plötzlich begegneten sich unsere Augen. Und da wußte ich, was er sagen würde, noch bevor er den Mund auftat. Mir wurde ganz schwach, so heftig klopfte mein Herz. Ich schloß die Lider halb, drückte mich enger an die Mauer. Etwas zerriß in mir, etwas Warmes, Lebendiges. Die Wunde in mir war offen. Nur noch ein paar Atemzüge, jetzt, gleich würde ich beginnen zu bluten.
    Opa saß da, seinen Stock zwischen den Knien, und stützte sein Kinn darauf. »Hast du Amos gesehen? Wir sind schon lange ohne Nachricht von ihm. Was macht der Lümmel?«
    »Amos ist tot«, sagte Michael.
    Schweigen. Iris streckte die Hand aus, und ich nahm sie, obwohl ich ihr keine Gedanken zuwandte. Ihre Hand fühlte sich schwer wie Stein an, aber vielleicht nur, weil meine eigene so kalt war. Oma schlurfte aus dem Haus und brachte ein Glas Milch.
    »Was hast du gesagt, Michael?«
    »Amos ist tot«, kreischte Tante Hannah.
    »Still!« flüsterte Iris.
    Oma gab Yasha das Glas. Er legte sehr behutsam den Geigenkasten auf einen Stuhl, nahm das Glas und trank einen Schluck, sehr langsam. Er bedankte sich nicht; er sprach überhaupt kein Wort. Michael begann zu sprechen; an seinen Schlä-
    fen klebten Schweißtropfen. Er gebrauchte seine Stimme in der Weise der Leute, die nicht gehört werden wollen, wenn sie sich miteinander unterhalten: die Jäger, die Widerstandskämpfer.
    Eine Stimme ohne jede Schwingung, ohne Resonanz und Klang. Ich las die Worte von seinen Lippen ab; in mir flackerten die geträumten Linien und Schatten, schwarzweiß, wie zerknittertes Silberpapier. Die Schmerzen in meinem Knie nahmen zu. Ich klammerte mich an Iris’ Hand; sie gab mir Kraft. Später entdeckte ich an ihrer Hand die blauen Spuren meiner Nägel.
    »Wir hatten ein Gleis in die Luft gejagt. Unten, beim Ran-gierbahnhof am Hafen. Der Himmel war gefährlich klar – zunehmender Mond. Wir konnten nicht warten, bis Nebel kam: Ein Munitionszug mußte gestoppt werden. Die Sprengung fegte die Lokomotive und die zwei ersten Wagen aus den Schienen.
    Der Tank explodierte, die Flammen schnitten uns den Rückzug ab.«
    Ich nickte; ich hatte das ja alles schon im Traum erlebt, das Heulen der Sirenen. Das weiße Strahlen der Suchscheinwerfer.
    Brodelnder Rauch, die Soldaten in dunklen Uniformen, mit kuppelartigen Helmen. Schreie, Befehle. Schatten wie zuckende Trugbilder, knatternde Maschinengewehre. Der giftige Gestank von Gas und Benzin.
    »Wir flüchteten über die Docks, an Werftschuppen, Silos und Lagerhäusern vorbei. Am Rande eines Hafenbeckens fanden wir Deckung. Hier waren die Schatten sehr dicht. Eine klebrige Ölschicht lag auf dem Wasser. Der einzige Weg aus der Falle führte über einen eisernen Steg – zwanzig Meter ohne Schutz, im hellen Mondlicht. Die Soldaten rückten heran, jenseits der Schienen, am Wasser entlang. Sie hatten das Gelände abgesperrt, kreisten uns ein. Sie duckten sich unter den Rollkränen, am Rand der lodernden Flammen. Amos sagte: ›Wir müssen eine Lücke freischießen.‹
    Wir teilten uns in zwei Gruppen. Amos und ich krochen mit drei Kameraden zurück, in den Schatten eines Tanklagers. Wir schnitten einen Drahtzaun auf, fanden eine dunkle Stelle und lagen still. Als die Soldaten in Schußnähe kamen, feuerten wir, so schnell wir abdrücken konnten. Die Deutschen hatten uns

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