Seidentanz
Werkzeugen und den Arbeitsgängen schenkte ich die größte Aufmerksamkeit.
Kunihiko arbeitete stets in der weißen Zeremonialkleidung, die er täglich wechselte, damit er stets makellos vor den Gottheiten erschien. Seine Gehilfen ebenso – nie wurde ein Fleck oder Riß an ihren Kleidern geduldet. Wenn Kunihiko ein Schwert in Arbeit hatte, wurde die Werkstatt mit geweihten Seilen um-schlossen, um das Eindringen böser Geister zu verhindern. Ich war häufig zugegen, wenn Vater und die Gehilfen die Eisenbarren hämmerten, in Feuer und Wasser läuterten. Kunihiko hatte erst 1960 mit der Herstellung von Schwertern wieder begonnen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war auch diese Kunst von den amerikanischen Besatzungsmächten verboten gewesen.
Finanziell ging es meiner Familie sehr schlecht; mein Vater und mein Großvater, der damals noch in der Schmiede arbeitete, stellten ornamentale Eisen und verschiedene Gegenstände her: Koga zum Beispiel, eine Art Pfriem, um die Haare zu frisieren, oder kleine Tosu und Kozuka – Nutzmesser –, die mit allen möglichen Horimono – Ornamentalmotiven – versehen wurden: Pflaumenblüten, Drachen, Päonien, Bambussen. Sie machten Klingen mit Chirimenhada – Seidenkrepp-Effekt –
und solche mit Koitame - Holzkorn-Effekt. Diese Gegenstände sind heute begehrte Sammelobjekte.
Kunihiko nahm die Einschränkung seiner Arbeit sehr gelassen hin. Sein Vorbild war Yamoaka Tesshu, ein berühmter Schwertkämpfer und Philosoph, zugleich Politiker und Vertrauter des jungen Tenno Meiji. Yamoaka Tesshu, der 1888 starb, hatte eine besondere Schwertschule gegründet, aber niemals einen Menschen getötet. Er erläuterte, es gäbe nur ein Schwert, nämlich das im Herzen, und sonst keines. Das war auch Vaters gewaltloser ›Weg‹. Meine Kindheit wurde von diesem Verhalten geprägt. In den Jahren, die seither vergangen sind, erkannte ich nach und nach den Sinn seiner Schulung; und heute erfüllt sie mich mit großer Ehrfurcht. Die Stunden, die ich in der Schmiede verbrachte, kann ich als eine Art Meditation bezeichnen. Schon im Vorschulalter kannte ich alle Instrumente der Werkstatt: Ambosse, Hämmer, Feuerzangen, Schmiedeherd. Das Feuerschweigen und das Abhauen des glühenden Metalls war mir ebenso vertraut wie die Gestaltung der Horimono, durch Vertiefen und Erhöhen im kalten wie im warmen Stahl. Vater ließ mich schon früh gewisse Handreichungen für ihn machen; doch er ging mit mir sehr behutsam vor, denn ich war ein zartes Kind. Ich war sein Gehilfe bei der Anfertigung eines Wakizashi. Dieses kleinere Schwert wurde zusammen mit dem Katana, dem Langschwert, getragen. Mein Vater hatte es im Wellenkorn Asayugi geschmiedet, das in der Harada-Tradition über viele Generationen üblich war. Es war das erste Mal, daß ich ihm als Gehilfe diente. Aber ich greife vor. «
Kunio schwieg plötzlich; ich war von seinem Erzählen so gebannt, daß ich der Strecke kaum Beachtung geschenkt hatte.
Erst als er den Wagen am Straßenrand hielt, schreckte ich aus meiner Versunkenheit auf. Wir hatten das Dorf umfahren und den Berg Miwa von der anderen Seite erreicht. Die dichten Bäume, Fichten zumeist, leuchteten in der Sonne smaragdgrün.
Ich dachte an Kunios Traum und sagte:
»Ich könnte dir stundenlang zuhören.«
Er kniff schelmisch die Augen zusammen.
»Reden macht durstig. Komm!«
An der Straßenkreuzung befand sich ein kleiner Kramladen.
Eine alte Frau verkaufte Gemüse und Obst, Reis, Trocken-milch-Packungen, auch Taschenlampen, Batterien, alle möglichen Werkzeuge und billige Wäsche. Daneben befand sich einer dieser Getränkeautomaten, die überall in Japan zu finden sind. Kunio zog einige Münzen aus der Tasche. Zwei Dosen mit Traubensaft fielen scheppernd in den Behälter. Wir öffneten die Dosen mit leisem Knall. Der Saft schmeckte richtig nach Trauben.
»Gut, nicht?« sagte Kunio.
Die alte Frau nickte uns freundlich zu. Kunio deutete eine Verbeugung an. Die Frau in Strickjacke und Filzlatschen verließ den Laden. Kunio kaufte bei ihr ein Gläschen Honig, das kleinste, das er finden konnte, und steckte es in die Tasche seiner Windjacke. Sie wechselten ein paar Worte. Die Frau sprach einen Dialekt, den ich kaum verstand. Sie hatte ein freundliches Grinsen und dunkle, weißgeränderte Vogelaugen.
Sie schenkte uns ein kleines Netz mit Mandarinen. Dann kam eine Kundin, und sie ließ von uns ab.
»Kennst du diese Frau?« fragte ich Kunio.
Er schälte eine Mandarine, bot mir die Scheiben
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