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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Beschaffenheit dieser Haut, die Form der Knochen darunter, die straffen Sehnen. Die blinden Augen leuchteten wie Marmor; die Macht, die von ihnen ausging, war körperlich spürbar. Aber was hatte diese Macht mit mir zu tun? Wenn ich etwas Befremdendes in mir spürte, so war es nur das Gefühl, daß ich sie schon früher gekannt hatte, auf der vergangenen Seite meines Lebens; so, als hätten sie und ich eine gemeinsame Erinnerung. Das Gefühl war nicht zu benennen, ich bezweifelte seine Echtheit und erlag gleichwohl seinem Zauber. Und mit einem Mal war mir, als ob auch sie mich durch ihre Lider sah und erkannte. Die dunklen Pupillen zeigten sich hinter dem Wimpernschleier, bewegten sich, hefte-ten sich an meine Augen. Ein paar goldene Funken schwammen in den matten Tiefen und verschwanden, während sie ihre Bewegungen zeichnete, eindringlich und anmutig und so sanft wie ein Frühlingshauch. Das Blut begann mir in den Ohren zu rauschen, dröhnte mir im Kopf. Langsam, wie unter einem inneren Zwang, ließ ich den Schal von meinen Schultern gleiten. Hob beide Arme. Zog den Reißverschluß im Rücken auf.
    Sofort glitt das Kleid zu meinen Füßen herab. Ich stieg aus dem roten Kreis, den der Stoff auf dem Boden bildete, und bemerkte kaum, wie Alwin ihn aufhob und über seinen Arm warf. Ich trug jetzt nur noch mein schwarzes Trikot und weiche Tuch-schuhe. Mein Top war weit ausgeschnitten, doch ich spürte ebensowenig die Kälte, wie die Fremde sie spürte. Unvermittelt erschrak ich: Tatsächlich war ich im Begriff, ihr die Show zu stehlen, etwas, das sich nicht gehört. Vorher hatte ich das nicht bedacht, jetzt war ich unglaublich verlegen. Doch die Unbekannte schien in meinen Gedanken zu lesen. Ein kaum sichtbares Lächeln spielte auf ihren Lippen. Sie hob die rechte Hand.
    Mit einer leichten Geste winkte sie mir. Die Finger bewegten sich wie ein durchscheinendes Gewebe. Ich ahmte die Geste nach. Unsere Hände näherten sich einander, berührten sich jedoch nicht. Zwischen ihnen blieb eine Luftschicht, ein transparentes Feld der Energien. Langsam umkreisten wir uns, stimmten unseren Rhythmus aufeinander ab. Ihre Gestalt war klein und straff, die Brüste kaum angedeutet, die Schenkel rund und etwas nach außen gekehrt, die Hüften so schmal, daß zwei Hände sie bedecken konnten. Ich beherrschte meinen Körper, wie sie den ihren beherrschte. Die Sache war eigentlich einfach; wir brauchten nur unsere Bewegungen in Einklang zu bringen. Da wir nie miteinander geprobt hatten, mochte der Versuch vom technischen Standpunkt her nicht unbedingt überzeugen, aber das spielte hier keine Rolle. Und so tanzten wir dann auf dem Platz, im Angesicht der schweigenden Zuschauer. Bis einige dumpfe, volle Akkorde die Stille brachen: Pierre, auf den Marmorstufen kauernd, hatte die Gitarre gestimmt. Eine kleine Pause entstand, die Zuschauer hielten den Atem an. Dann pulsierte die Musik, nicht hart und straff, sondern an- und abschwellend, ein bebendes Brummen, stetig wie ein Herzschlag. Zu diesem Rhythmus umkreisten wir uns, un-bewegten Gesichts, wie Kämpferinnen. Doch es war kein Kampf, den wir austrugen, sondern eine behutsame Suche nach Übereinstimmung; behende bewegten wir uns dahin und dorthin, jede einzelne Regung, sogleich verdoppelt, zeichnete ein zaubriges Filigran, gab uns ein Gefühl, als wären wir Liebende, die mit einem Blick oder einer Berührung der Fingerspitzen zu reden wissen. Aus den Augenwinkeln sah ich bemalte Gesichter, Masken in allen Formen und Schattierungen, wie Farbkleckse auf einer Leinwand. Ich nahm sie kaum wahr. Ich beobachtete den beweglichen weißen Schatten vor mir, diese Augen, die, immer noch auf meine gerichtet, im Licht so dunkel schimmerten. Auf dem gepuderten Gesicht schwebte ein Lä-
    cheln, von geheimnisvollem Glück gespeist. Es war kindlich, dieses Lächeln, und zugleich das einer selbstbewußten Frau.
    Unwiderstehlich zog es mich in seinen Bann. Eine Ewigkeit lang bewegten wir uns langsam, wie im Traum. Immer noch verklärte dieses Lächeln ihre Züge, dann sog die Tänzerin auf einmal die Luft ein, atmete sie mit volltönendem Lachen wieder aus. Und in dem Augenblick, da ich ihr Lachen erwiderte, blieb sie stehen – so plötzlich, daß es wie ein Bruch wirkte. Sie lachte jetzt immer heftiger, legte die Hand auf ihre schnell atmende Brust, als wollte sie diesem Lachen Einhalt gebieten.
    Ich vermochte die winzigen Fältchen in den zusammengezoge-nen, weißgepuderten Warzen zu sehen. Der Bann war

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