Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Weile fragte ich:
    »Und du, hast du auch einen anderen Beruf?«
    Sie warf ihr Haar aus der Stirn, drehte es am Hinterkopf fest und befestigte es mit dem roten Band. Die leichte Betrübtheit war von ihr gewichen. Sie sah wieder ganz heiter drein.
    »Früher war ich Klavierlehrerin. Das Tanzen kam so nach und nach. «
    »Ja, irgendwann merkt man, daß es immer wichtiger wird.«
    Sie erzählte ein wenig. Sie stammte aus einem Dorf in der Nähe von Nara. Miwa hieß der Ort. Ihr Vater, ein Nudelfabri-kant, war gleichzeitig Bürgermeister. Die Nudeln, Somen genannt, waren aus Weizen gemacht und als besondere Spezialität bekannt.
    »Mein Vater war sehr streng. Ich durfte die Musikhochschu-le besuchen, weil er dachte, ich heirate ja doch. Er fand auch gut, daß ich unterrichtete. Dann habe ich zu tanzen begonnen.
    Zuerst heimlich, bis es herauskam. Jemand hatte über mich geklatscht. Mein Vater tobte, als er erfuhr, daß ich nackt auftrat und Eintrittskarten auf der Straße verkaufte. Damals hatte Butoh einen schlechten Ruf. Ich gab keine Erklärungen, das wäre Zeitverschwendung gewesen. Ich ging nach Tokio – und schlug mich durch. Ein paar Jahre später, als mein Vater krank in der Klinik lag, sagte er zu mir: ›Du mußt doch viel von meiner Charakterstärke haben!‹ Es gefiel ihm irgendwie, daß ich Widerstand geleistet hatte. Wir versöhnten uns, kurz bevor er an Leberverhärtung starb. Er war schon immer ein Trinker gewesen. Nach seinem Tod zog meine Mutter in das Haus ihrer Eltern, nach Kobe. Sie mochte Miwa nicht, der Ort war ihr zu ländlich.«
    Sie saß auf dem Bett, die Füße leicht gespreizt, im Gleichgewicht. Sie hielt die Hände ineinander verschränkt; sie lagen ganz locker in ihrem Schoß. Es war eine sehr anmutige Gebär-de. Sie wirkte einstudiert und doch ganz natürlich.
    »Meine Großmutter«, sagte ich, »wurde in Kobe bestattet.
    Auf dem Ausländerfriedhof. «
    Sie sah mich an, nicht übermäßig erstaunt.
    »Hat sie in Japan gelebt?«
    »Der Krieg hatte sie dorthin verschlagen.«
    »Dann ist es schon lange her«, sagte Naomi.
    Wir tauschten ein Lächeln, doch mir war nicht ganz wohl.
    Ich spürte wieder diese Unruhe in mir. Ich hatte das widersin-nige Gefühl, daß unsere Begegnung von größter Bedeutung war. Sie rührte etwas in meiner Vorstellungswelt, etwas, das ich nicht identifizieren konnte. Ich fühlte mich der Situation nicht gewachsen. Das war neu.
    Im Restaurant schlug uns Lärm entgegen. Es roch nach Bra-tenfett, Rauch, Qualm und feuchten Kleidern. Alwin und Pierre waren schon beim Essen. Wir hatten Hunger und bestellten Polenta – den steifen Maisbrei, der eine gute halbe Stunde lang gerührt werden muß und in Form von Tortenstückchen auf den Teller kommt. Dazu Tintenfische mit einer stark gewürzten Sauce. Wir unterhielten uns über Butoh. Alwin wunderte sich, daß es im Butoh keine Schule gibt, nicht einmal eine Organisation.
    »Ohne künstlerische Regeln kommt man nicht aus. Es gibt doch bestimmte Dinge wie Form, Stil, Übungen, die gelernt werden müssen.«
    »Man kann sie sich auch selbst beibringen«, sagte Pierre, mit vollem Mund.
    »Aber daraus wird doch nichts«, ereiferte sich Alwin. »Jeder Schüler ist von der Erfahrung des Lehrers abhängig.«
    Pierre trank sein Glas aus.
    »Alwin hat einen Guru-Komplex.«
    Naomi nickte Alwin zu, mit ernstem, freundlichem Ausdruck.
    »Es ist einerseits schwierig, ohne Form und Stil zu tanzen.
    Andererseits ist es ganz einfach. Man muß nur auf die innere Stimme hören. Heute hat der Ankoku Butoh – der ›Tanz der Finsternis‹ – ein anderes Gesicht bekommen, aber anfangs gehörte die Bewegung zum Underground. Die Tänzer ließen sich an den Füßen aufhängen, trugen blutverschmierte Metz-gerschürzen, Operationsbestecke und ähnliche Sachen. Sogar Hühner wurden auf der Bühne erdrosselt. In Japan legt man viel Wert auf Schönheit. Die Leute fanden die Aufführungen kimochi-warui – also ekelhaft oder gruselig. Sie wollten solche Dinge nicht sehen.«
    »Diese Tanzform hat sich ja auch zuerst in Europa und Amerika durchgesetzt«, ergänzte ich.
    »Da war man offener«, gab Naomi zu. »Bei uns herrscht ein extremer Formwille; das Prinzip, alles Einfache schwierig zu machen. Sogar Sitzen, Aufstehen, Schreiten läßt sich zur komplizierten Kunstübung gestalten. Butoh ist völlig frei davon.«
    Pierre gefiel das sehr.
    »Warum immer nur die Ästhetik? Das Geschehen auf einer Bühne sollte auch das Chaos zeigen.«
    »Japaner spielen

Weitere Kostenlose Bücher