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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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sondern ein Muster aus der Zeit vor den Menschen, ein gelatineartiges, zitterndes Zel-lenmaterial. Eine Ur-Struktur, die eigentlich nicht geschaut werden durfte, aber tausendmal spannender war als der Horrorfilm, den der Ranrô-ô mir vorführte. Geltungsbedürfnis, oder?
    Hau ab, du eitles Monstrum! Kusch, in deine Schachtel zurück!
    Ich mußte fast lachen, daß ich ihm so stark auf den Leim gegangen war. Das hier war interessanter. Ich beobachtete fasziniert, wie das zopfähnliche Gebilde sich langsam drehte und rekelte, bevor es ganz allmählich in meine Gehirnwindungen zurücksank. Lautlos pulsierend schloß sich die Membrane –
    vorbei. Eine große, hohle Stille folgte; in dieser Stille hörte ich ein Röcheln und das dumpfe Stoßen eines Stabes gegen einen Teppich. Ein Gegenstand entglitt meinen klebrigen Fingern. Zu dumm, jetzt hatte ich die Hellebarde fallen lassen. Hände stützten mich. Ich vernahm ein hölzernes Klappern, dann ein Ge-räusch, als ob sich eine festgesaugte Form mit einem kleinen Schmatzlaut von meinem Gesicht löste. Ein Feuerofen platzte, Strahlenbündel bohrten sich in das Innere meiner Netzhaut.
    Dicht vor meinen Augen hing riesengroß die Sonne, blendete mich mit schmerzhaftem, blutrotem Licht. Die Knie gaben unter mir nach. Arme fingen mich auf, legten mich behutsam nieder. Wohltätige Schatten löschten die Sonnenglut. Dann kühle Nässe auf meinem Gesicht, das Gemurmel ferner Stimmen. Ich verlor das Bewußtsein.
    43. Kapitel
    D unkelheit, Verwirrung. Ich stöhnte unter Kopfschmerzen.
    Man hatte mir eine Tablette verabreicht, so daß die Schmerzen erträglich waren. Nur ein Gedanke haftete in mir: nicht ein-schlafen, denn die Träume könnten wiederkommen. Ich wollte nicht mehr träumen oder Träume haben wie andere Menschen.
    Wie kam es, daß ich vor den Träumen solche Angst hatte? Weit zurück, am Rande des Gedächtnisses, waren einige unangenehme Erinnerungen, Scheinbilder, die ich nicht sehen wollte.
    Aber vielleicht schlief ich doch, ohne daß ich es merkte. Die Tabletten mußten sehr stark sein. Warum also wehrte ich mich dagegen? Mich quälte der bittere Nachgeschmack eines Versagens; die Gewißheit, daß mir beim Tanzen die Kontrolle entglitten war. Der Gedanke erfüllte mich mit Zorn. Ich warf mir vor, daß ich schlecht vorbereitet gewesen war, daß ich meinen Körper nicht so beherrscht hatte, wie es erforderlich gewesen wäre. Schlimm. Das Schlimmste, was einer Tänzerin widerfahren konnte. Erbittert zermarterte ich mir das Gehirn auf der Suche nach dem Fehler. Tänzerinnen sind objektiv. Sie betrachten sich im Übungsraum im Spiegel und sehen, wenn die Bewegung nicht stimmt. Und wenn mir bisweilen eine Stimme versicherte, nein, es ist nicht deine Schuld, so zuckte ich nur die Schultern. Was wußten die anderen? Ich wußte es besser. Der Fehler lag bei mir. Das war die einzige Wirklichkeit, die ich verantworten konnte. Und so verstrickte ich mich in einen absurden Dialog mit einer Stimme, die mir in vernünf-tigem Ton das Gegenteil versicherte. Manchmal sah ich Gestalten und sah sie doch nicht. Als würde ich durch sie hindurch-schauen. Als hätten sie kein Gewicht mehr und würden im Raum schweben. Ich konnte sie mit keinen Namen in Verbindung bringen.
    Eine Zeitlang war mir entsetzlich heiß; Fieber, möglicherweise. Der Kopf tat mir zum Verrücktwerden weh. Ich blickte im Halbschlaf auf ein Durcheinander unsortierter Bilder; da war zum Beispiel die Vision einer Flasche, mit irgendeiner Flüssigkeit gefüllt, die über mir schaukelte; doch um diese Flasche herum regten sich andere Scheinbilder. Ich wollte sie nicht sehen, sie kamen aber immer wieder. Am schrecklichsten empfand ich den Anblick einer Hand, die blutend und lebendig aus den Trümmern ragte. Dieses Bild mußte ich unbedingt vergessen. Andere Traumfetzen zogen wie Wolken vorbei; ich erlebte sie aus vielerlei Entfernungen und hatte oft das Gefühl, daß mein Körper heftig zuckte.
    Allmählich wurden die Anfälle schwächer. Auch die Kopfschmerzen besserten sich. Ich lag da, im Halbschlaf oder wachend, hatte das Gefühl, zu schweben, und fand das eigentlich ganz angenehm. Eine Gestalt war oft bei mir, sogar nachts. Ich fühlte ihre Anwesenheit, auch wenn ich sie nicht sehen konnte.
    Manchmal streichelte sie meine Hand; dann packte ich diese Hand, hielt sie dicht vor meine Augen, um sie zu betrachten.
    Ich dachte, das ist eine Hand, die ich kenne. Die Fingernägel, die Form, die Gelenke, alles ist mir

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