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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Als das getan war, kniete er nieder und sprach ein Gebet. Seine Stimme schwebte wie ein tiefer, rhythmischer Brummton über die Lichtung. Die Zuschauer saßen völlig unbeweglich. Ein kleines Kind schrie, doch seine Mutter beruhigte es, so daß es gleich wieder still wurde. Als das Gebet gesprochen war, verneigte sich Daisuke noch einmal vor dem Schrein, federte auf seine Fersen zurück und richtete sich auf. Dann nahm er neben Sagon Mori den Ehrenplatz ein. Die Vorstellung begann.
    Die Musik setzte ein, gelassen und wundervoll. Feierlich schritten die Mitglieder des Orchesters, in zwei Gruppen geteilt, der Bühne entgegen. Jeder Schritt, von den Schlägen der Perkussionsinstrumente getragen, gehörte einer Zeitstruktur an, die nun geschaffen wurde. Die Musik erklang nicht; sie schwebte, ich hatte nicht darauf geachtet, was für eine Wirkung sie im Freien hatte; besser gesagt, ich hatte sie nicht wahrgenommen. Sie war die Stimme der Natur, die aus den Bäumen sang und in den Blättern flüsterte. Sie hielt die Arbeit des Gedankens und das große Rätsel der Schöpfung in schwebendem Gleichgewicht. Sie sang wie die Gräser und Schilfrohre, wenn der Atem des Windes ihnen ihr Murmeln und Rauschen, ständig das gleiche und doch immer wieder anders, entlockt.
    Die Musiker waren in zwei Farbkontraste eingeteilt: Die Spieler, die von rechts die Bühne betraten, trugen grüne Ge-wänder; jene, die von links kamen, waren in Rottöne gekleidet.
    Links, die Seite des Herzens, wurde in den Farben und Symbolen bevorzugt. Und ebenso hatte jede Gruppe die ihr zugeord-nete Bühnenseite. Die Musiker knieten nieder. Jener, der die Hängetrommeln betätigte, stellte sich neben sie. Der junge Mann hielt zwei Schlegel in der Hand. Der linke Schlag entsprach dem Yin, der rechte dem Yang, dem weiblichen und dem männlichen Element. Die gleiche Dualität bestimmte auch die zwei Tonarten, die Höhe und die Tiefe. Sogar der Trommel-rhythmus entsprach diesem Prinzip. Stets waren es die Schlaginstrumente, welche die Zeiteinheiten markierten, die Pfeiler errichteten, zwischen denen Flöte und Oboe ihre Melodie spannten. Die langgezogenen Töne der Mundorgel, bestehend aus sechzehn Bambuspfeifen verschiedener Größe, begleiteten den Gesang der Laute und Zither, webten um die Zuschauer das Netz der Musik. Ich wartete auf meinen Auftritt. Neben mir knieten die Spieler, die meine Leibgarde darstellten, alle stumm, in der gleichen Spannung befangen. Aiko hatte die Aufgabe, die Maske so zu befestigen, daß ich den Knoten beim Tanzen mühelos lösen konnte. Wir hatten das alles hundertmal geübt.
    Auf dem Haiden begann nun der Zeremonialtanz, »das Schwingen der Hellebarden«. Es war, als ob die Spieler traumbefangen meditierten. Der Linkstänzer weihte das Spiel der Sturmgottheit, dem Schutzpatron des Schreins, der Rechtstänzer beschwor die Erdgottheit. Schließlich umkreisten sich langsam beide Spieler zu Ehren der Ahnengottheiten. Der Augenblick nahte. Ich fühlte mich wie ein Aufziehspielzeug, das eine Umdrehung zuviel aufgezogen wurde, wie eine Spiralfeder, zum Reißen gespannt. Ich hörte Aiko neben mir tief und regelmäßig atmen. Wir kannten die Melodie auswendig. Als sich die Musik dem Höhepunkt näherte, an dem mein Auftritt erfolgen würde, tauschten wir nur einen Blick. Mein Rückgrat kribbelte, mein Nackenflaum stellte sich auf. Es war soweit! Nun mußte ich die Maske auf meinem Antlitz dulden; mußte zulassen, daß ihre Kraft von mir Besitz nahm. Durch sie wurde ich gleichzeitig Frau und Mann, Mensch und Gottheit, Lebende und Tote.
    Nun, das alles war mir bekannt. Ich mußte das jetzt verantworten. Langsam und ehrfurchtsvoll hob Aiko den Deckel aus Weißholz empor, schlug die Seide auseinander. Eine Gänsehaut überlief mich. Mir war, als breche ein lebendiges Wesen, ein kleiner, mißgestalteter, rotglänzender Dämon ans Tageslicht.
    Die beweglichen Kugeln der Augen vibrierten, der Schnabel des Greifen leuchtete in blutgierigem Glanz.
    »Endlich«, sagte der Ranrô-ô.
    Ich werde es nicht können, dachte ich. Ich schaffe es nicht.
    Panik überfiel mich in Wellen. Das Ding, was immer es auch sein mochte, war furchterregend und ganz entsetzlich gefährlich. Doch Aiko hielt die Maske behutsam und zart, wie sie ein Kind halten würde. Ihre Heiterkeit übertrug sich auf mich.
    Meine Angst flaute ein wenig ab. Ich beugte mich leicht vor, kam der Maske entgegen. Sie war – trotz allem – ein heiliger Gegenstand. Auch ich mußte ihr mit

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