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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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darüber nachdenken. Mit großer Freude.«
    Ein paar Stunden später. Ich lag schläfrig da, als ich eine Bewegung an meinem Bett fühlte. Ich schlug die Augen auf.
    Naomi. Sie stand im Gegenlicht und sah auf mich herunter.
    »Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht wecken.«
    Ich wandte mich nach ihr um.
    »Das macht nichts. Ich bin froh, daß du da bist.«
    Sie setzte sich auf den Bettrand. Sie trug Shorts und ein är-melloses T-Shirt. Stumm hielt sie mir eine Päonie an die Wange; die Blüte streifte meine Haut mit samtener Kühle.
    »Die Sache war ein bißchen absurd, ne? « sagte ich.
    Sie blieb, wie sie war, den Blick auf die Päonie gerichtet.
    »Keita sagt, daß solche Dinge vorkommen.«
    »Und du, hast du sie noch nie erlebt?«
    »Nein, niemals.«
    Sie drehte die Blume zwischen ihren Fingern. Ich betrachtete diese Hand, ausdrucksstark und zart, mit den purpurnen Nä-
    geln. Sie waren weder spitz noch lang, sondern rund gefeilt und vollkommen. Ich entsann mich, wie sie die »Vogelfrau« tanzte, wie ihre Hand aus dem blutroten Kimonoärmel kroch, sich im Licht des Scheinwerfers hob, eine Botschaft verkündete. Und ich fand mich in meiner Idee bestätigt, daß sie selbst diese Botschaft nicht entschlüsseln konnte. Das machte mich unruhig. Ich fragte, geistesabwesend:
    »Auch im Traum nicht?«
    Sie fuhr fort, mit der Blume zu spielen.
    »Da sehe ich oft Menschen, die gestorben sind. Meine Groß-
    eltern und auch meinen Vater, der ja eigentlich ein böser Mann war. Im Traum spricht er sehr freundlich zu mir.«
    Ich schluckte, blickte aus dem Fenster und dann wieder auf ihr ruhiges Profil.
    »Was sagt er denn?«
    »Er ruft mich beim Namen: Naomi, Naomi! Dann sagt er, daß er Seiji nicht sehen will. Das finde ich merkwürdig, denn er war ja schon lange tot, als Seiji auf die Welt kam.«
    Ich schwieg. Plötzlich stand sie auf, füllte ein Wasserglas und stellte die Päonie hinein. Ich teilte ihr mit, daß ich am nächsten Tag aus dem Krankenhaus entlassen würde.
    »Kommst du zu mir?« fragte sie.
    »Ja, aber nur für ein paar Tage. Kunio möchte, daß ich zu ihm nach Nara ziehe.«
    Naomi fuhr mit der Hand durch ihr Haar, wie Frauen es manchmal tun, anmutig und selbstvergessen. Ihre Hand war so schön. Ich kam von ihrem Anblick nicht los.
    »Ich habe das Studio noch für eine Woche. Der Architekt war schon da.«
    »Gut. Sobald ich ganz gesund bin, bringen wir dich nach Kobe.«
    »Ich habe nicht viel Gepäck«, sagte sie. »Bloß Requisiten.
    Aber wenn es euch Mühe macht… «
    »Keineswegs. Bei der Gelegenheit werde ich das Grab meiner Großmutter besuchen. Ist immer noch keine Post für mich da?«
    Sie verneinte kopfschüttelnd. Ich seufzte. Wo steckte Lea nur? Sie sollte sich doch bemühen, ein bißchen Interesse zu zeigen, wie es sich für eine Mutter gehört.
    Am nächsten Tag verließ ich mit Kunio das Krankenhaus.
    Ich konnte nicht ausdrücken, wie ich mich fühlte. Nicht eigentlich schlecht, aber schwach auf den Beinen. Ich ging ins Bad, machte Licht, sah mich im Spiegel, der sich zu drehen schien.
    Ich hatte trockene Lippen und blaue Ringe unter den Augen.
    Um den Mund zwei Falten, noch fein und fast unsichtbar. Während ich mich anstarrte, fühlte ich wieder ein innerliches Flattern, diese Unruhe, die grundlos, beständig wuchs. Exzentrisch war ich schon immer gewesen; jetzt fehlte bloß noch, daß ich hysterisch wurde. Kein gutes Zeichen, Lea! Ich wäre lieber ein bißchen affig, wie du, und dafür ausgeglichen. Aber deswegen würde ich nicht beim Therapeuten heulen. Mein Verstand war ziemlich gut ausgebildet. Vielleicht genügten ein paar Tage, um alles wieder ins Lot zu bringen.
    »Du siehst gar nicht übel aus«, stellte Naomi fest.
    Ich griff nach meinem Gesicht, verzerrte es.
    »Ein bißchen abgemagert, was?«
    »Ein bißchen blaß.«
    Wir tauschten ein Lächeln. Ich sagte:
    »Ich muß mir einen Lippenstift kaufen.«
    Ich rief bei Daisuke Kumano an. Machte mit ihm ein Treffen für den nächsten Tag aus. Er fragte, wie es mir ginge. Noch etwas schwach auf den Beinen, sagte ich. Ob Kunio mich begleiten könnte? Daisuke war sofort einverstanden; mir entging nicht eine gewisse Erleichterung in seiner Stimme. Gleichwohl, gestand ich mir, waren seine Worte von derselben emotionalen Wärme wie zuvor. Wenn ich wirklich Chinesisch gesprochen hatte, war das eine ulkige Sache. Wahrscheinlich hatte ich bei Lea ein paar Brocken aufgeschnappt und im Unterbewußtsein gespeichert. Sie hatte acht Jahre in Hongkong

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