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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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tun. Ich werde nicht darüber sprechen.«
    »Wozu auch?« erwiderte er sanft. »Du kannst es ja doch nicht ändern. «
    Er drückte seine Zigarette aus, erhob sich, stellte sich an die offene Tür. Wir traten zu ihm. Eine Weile herrschte Schweigen.
    Die Augen des Priesters schimmerten, schließlich seufzte er.
    Wir hörten das Rascheln seiner Gewänder, als er sich straffte.
    Er sagte, in einer Art Selbstvergessenheit:
    »Wir brauchen keine virtuellen Bilder. Wir brauchen Myste-rien. Wenn wir den Zauber der Erde verleugnen, aus dem Wahn des Tanzes nicht mehr wahrsagen können, werden wir selbst zu Schemen und Schatten… «
    44. Kapitel
    V ier Tage später zogen wir um. Die Arbeiter hatten schon Material herbeigeschafft, im Garten stand eine Leiter. Das Telefon war gekündigt, die Adressenänderung bei der Post angegeben. Am letzten Abend hatte Naomi Schränke und Schubladen ausgeräumt – Kleider, die nach Mottenpulver rochen, Masken, verbeult und verblichen schon, Trockenblumen, Fächer, Spitzenkragen, altmodische Strohhüte, mit Schleier und kleinen Kügelchen geschmückt, alle auf dem Flohmarkt erstanden. Im Laufe der Jahre entwickeln Tänzer eine seltsame Zuneigung zu ihren Requisiten. Auch ich konnte auf eine alte Stoffblume oder einen zerknüllten Seidenschal starren, und aus dieser Betrachtung einen ganzen Bewegungsablauf entwickeln.
    Ich half Naomi, die Sachen in ihren Rucksack, in zwei große Koffer und in ein halbes Dutzend Plastiktaschen zu verstauen.
    Die Futons und die Decken wurden zusammengerollt und fest-gebunden. So gut es ging, verstauten wir das Gepäck in Kunios Wagen. Ich nahm Abschied von dem Studio und dem Viertel, das mir vertraut geworden war. Ein bißchen Melancholie ge-hörte dazu, aber ich bin nie stark an Orte gebunden gewesen.
    Und meine Gedanken waren schon fort, in einem neuen Le-bensabschnitt.
    Kobe liegt an der Ostküste von Honshu, etwa siebzig Kilometer von Kyoto entfernt. Über die Autobahn dauerte die Fahrt
    – bei günstiger Verkehrslage – kaum eine Stunde. Es war noch Spätsommer. Der Tag war sehr heiß, machte uns müde und schlapp. Im Wagen surrte die Klimaanlage. In den Nachrichten wurde gesagt, ein Taifun sei im Kommen. Das Nahen des gro-
    ßen Windwirbels brachte die Luft zum Kochen. Wir fuhren über die hohe, auf Pfeilern gebaute Autobahn fast auf gleicher Höhe wie die kleinen, sehr nahe aneinandergebauten Häuser der Vororte. Das lange Band der Autobahn zog eine weite Schleife über die Stadt. Die Hitze schwebte über dem Asphalt wie in einer sonderbaren Folge von Spiegeln. Von dem funkelnden Flimmern ging eine Betäubung aus. Ich wandte lieber die Augen ab, sah auf die Straßenschluchten, die Hochhäuser, die grünen Flecken der Gärten. Kobe dehnt sich zwischen der struppig bewaldeten, abgeflachten Rokkeô-Bergkette und dem Inlandsee aus. Um das Vorgebirge schimmerte der Himmel besonders hell, wie mit einem perlrosa Dunstschleier umgeben.
    Parallel zur Autobahn lagen Fabriken und Docks. Dahinter, in der blauen Lücke des Hafens, die Schiffe: Frachter, Fischerboo-te, Fährboote, Jachten. Ein großer Passagierdampfer glitt über die spiegelglatte Oberfläche des Meeres.
    »Er fährt zur Insel Awaji«, sagte Kunio.
    In den Hauptstraßen staute sich der Verkehr. Zwischen Wohnblöcken und Warenhäusern fuhren Vorortbahnen und Schnellzüge auf vielspurigen Gleisen. Kobe war heiß und geschäftig, zeigte die Eleganz und Nachlässigkeit der Hafenstäd-te, mit Bürohäusern aus Marmor und rauchenden Bratküchen unter Bahndämmen, mit Warenhäusern, erlesenen Boutiquen, Sex- und Peep-Shows und lärmenden Pachinko-Hallen. Unter den Arkaden der Bürgersteige fluteten die Passanten. Die Gesichter griechischer oder russischer Matrosen schienen über den Köpfen der meist kleineren Japaner zu schweben. An ihren Armen hingen Prostituierte in Mini-Jupes. Der Wind wirbelte Staubwolken durch die Luft, ließ Haare und Kleider flattern.
    Ich merkte plötzlich, daß ich Kopfschmerzen hatte. Die kurze Fahrt hatte mich bereits ermüdet. Eine seltsame Bedrücktheit lähmte mich. Ich hatte nur den einen Gedanken: schnell weg von hier! Das war eigentlich nicht das Gefühl, daß ich in Kobe erwartet hätte. Mit einem leichten Ziehen in der Brust dachte ich an meine Großmutter, die hier begraben lag. Aber dies war nicht mehr die Stadt, die Lea in ihrem Tagebuch beschrieben hatte.
    Naomis Mutter wohnte am Fuß der ersten Ausläufer des Rokkô-Berges. Das ganze Viertel war im Umbruch

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