Seidentanz
einmal konnte ich seine Entrücktheit nicht mehr ertragen. Ich fragte das erste, was mir in den Sinn kam: ob er mit seiner Arbeit zufrieden sei. Da reagierte er wie auf ein Stichwort. Er straffte den Rücken, sein Gesicht belebte sich.
Schlagartig wurde er übertrieben gesprächig, fast schwatzhaft.
Ich versuchte nicht, seinen Redefluß einzudämmen, und Hanako, wachsam und bekümmert, ließ die Augen nicht von ihm ab.
»Ob ich mit meiner Arbeit zufrieden bin? Das bin ich nie, Ruth-San, das ist nicht möglich. Ich messe mich nicht an meiner Arbeit, sondern an meinen Träumen. Träume sind die Quel-len, aus denen wir leben. Meine Schwerter sind meine Träume.
Gute Träume, böse Träume? Das hängt von mir selbst ab. Der Weg zur Meisterschaft besteht nicht darin, klüger oder tüchtiger zu werden, nein, sondern den inneren Frieden zu erreichen, die Harmonie. Manche glauben, sie werden es nie lernen. Das Geheimnis, meine ich. Das Geheimnis des Schwertes. Ist die Seele des Schmiedes rein, ist das Schwert rein. Oft sitze ich wach in der Nacht, beschäftige mich mit diesen Gedanken. «
Seine Augen, für gewöhnlich wie mit matter Glasur überzogen, waren plötzlich glänzend und hell. Ich hatte noch nie erlebt, wie in einem verbrauchten Körper das Feuer der Überzeugung solch eine Veränderung hervorrufen konnte. Seine Stimme hatte sich nicht gehoben, aber sie war kräftig und um zehn Jahre jünger. Er sagte, daß für eine gute Klinge an die hundert hauchdünne Stahlschichten immer wieder geglättet werden müßten, um dem Schwert seinen einzigartigen samtigen Glanz zu verleihen. Daß jede Stahlschicht nur mit mildtätigen, barm-herzigen Gedanken befrachtet sein müßte. Hier wurde ein heiliges Gelübde erfüllt, daß der Schmied allmorgendlich im Gebet erneuerte. Denn der Gesang des Eisens, das Brausen des Feuers zogen die Geister an, die Guten und die Bösen. Und der Schmied hatte die Wahl, diesem oder jenem zu huldigen. »Hier liegt die Ambivalenz«, sagte der alte Mann, bevor ihm ein Hustenreiz das Wort abschnitt.
»Kunihiko, du redest zuviel.« Hanako schraubte die Thermoskanne auf. Kunihiko hielt ihr den Becher hin, den sie füllte.
Er trank laut und schlürfend, kam wieder zu Atem und lächelte mich an; das Lächeln seiner vollen Lippen war jugendlich.
»Der Schmied muß das Feuer lieben wie sein Kind. Wenn ein junger Schmied das Erbe seines Vaters antritt, darf er niemals das gleiche Feuer benutzen. Er muß das alte Feuer töten und ein junges Feuer ins Leben rufen.«
Er schwitzte beim Sprechen, doch die kalte Luft trocknete den Schweiß sofort.
»Ja, die Schmiedearbeit ist eine Geburtshilfe: Wir helfen den Metallen, auf die Welt zu kommen, ihre Form zu finden ihre Bestimmung. So wie wir alle dem Mutterschoß entstammen, dem Heiligsten auf Erden. Die Mutter trägt ihr Kind in ihrem Leib, wie die Erde die Metalle. Der Mensch kommt zur Welt, wird vom Leben geschmiedet. Und wenn seine Zeit gekommen ist, kehrt er zur Mutter zurück. So gleichen sich Menschen und Metalle, Ruth-San. Wasser und Feuer gestalten das Eisen, Mann und Frau kopulieren und formen den Embryo.«
Die Bewegung seiner schmalen Finger wurde plötzlich sehr eindeutig. Die Geste war so unerwartet, daß ich in Lachen ausbrach.
»Aber, aber, Kunihiko, in deinem Alter!« sagte Hanako, um deren Mund ein Lächeln huschte. Kunihikos Lippen kräuselten sich. Seine Augen, auf mich gerichtet, erschienen voll Unschuld und Schalk, wäre nicht ein tieferes Feuer gewesen, das in ihnen brannte.
»Ruth-San ist kein Kind mehr, ne? Sie weiß über diese Dinge Bescheid.«
Mein Lächeln erlosch. Er wußte ja, wie es mit Kunio und mir stand. Und er spürte auch, ich hatte das kräftigere Leben. Der Geist in ihm rief den Geist in mir an; sie erkannten sich; zwischen uns lag eine starke Anziehungskraft. Er zweifelte nicht an mir, und er sprach von seinem Vermächtnis.
Ich fröstelte plötzlich, zog meinen Parka enger um die Schultern.
»Ich verstehe.«
»Yosbi!« brummte der Alte zufrieden. »Gut so!«
Seine Stimme war plötzlich heiser. Das Licht fiel voll auf sein Gesicht, das naß von Schweiß war. Die Sonne verschwand hinter den Bäumen. Das Geräusch der Schneide auf dem Holz-klotz setzte aus. Kunio brachte die Axt in den Schuppen und stapelte die Holzstücke sorgfältig und genau auf. Neben dem Schuppen war eine kleine Pumpe, die Wasser aus dem Bach schöpfte. Kunio wusch sich die Hände unter dem Schlauch, mit dem die Büsche abgespritzt und der
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