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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Sandboden benetzt wurden. Dann schlenderte er gelassen über den Hof; er trug einen schwarzen Pullover mit Rollkragen; seine Jeans steckten in Gummistiefeln. Ich errötete wie ein Schulmädchen, als er sich lächelnd neben mich setzte, wobei er sorgfältig vermied, daß er mit den Stiefeln die Bodenlatten berührte. Er war etwas erhitzt, roch nach Harz, Holzkohle und feuchter Wolle. Hanako reichte ihm Tee.
    »Danke für das Holzhacken! Du bist ein guter Junge, Kunio-chan.«
    Er grinste zerknirscht. »Mir fehlt die Übung.«
    »Seit wann hast du keine Axt mehr in die Hand genommen?«
    brummte sein Vater.
    Kunio nahm einen Schluck Tee. Sein Atem bildete eine kleine weiße Wolke vor seinen Lippen.
    »Seit Jahren nicht mehr.«
    Kunihiko schnalzte mit der Zunge. Die goldbraunen Augen blickten halb amüsiert, halb anerkennend.
    »Heute abend wirst du deine Knochen spüren.«
    Kunio verzog das Gesicht.
    »Ich spüre sie jetzt schon.«
    »Erwarte nicht zu viel von dir«, sagte Kunihiko. »Wozu soll das gut sein?«
    »Es wärmt«, sagte Kunio.
    Hanako wandte sich ihm zu, betont freudig und leichthin:
    »Dein Vater sieht heute so aus, wie er in einer glücklichen Zeit aussah, meinst du nicht auch, Kunio-chan?«
    Er nickte langsam, die Augen auf den alten Mann gerichtet.
    Seine Stimme klang sanft.
    »Ja, ich denke schon. Etwas müde vielleicht?«
    Kunihiko ließ wieder ein ungeduldiges Zungenschnalzen hö-
    ren. Sein Haar, silberweiß auf dem Kopf und struppig im Nak-ken, sah unter seiner Mütze hervor.
    »Ich bin weniger müde als du, Junge. Und ich habe keinen Muskelkater. «
    Er lehnte sich zurück, lachend, wobei sein Atem rasselte. Als er wieder ruhig wurde, zwinkerte er mir zu; ich lachte auch, als ob wir ein Geheimnis teilten. Unsere Blicke hielten einander für kurze Zeit fest. Dann wurde sein Gesicht plötzlich starr wie Granit. Laut und eigensinnig klangen seine Worte durch die Stille:
    »Und hört auf, so zu tun, als ob ich krank wäre. Ich bin noch nicht fertig mit den Dingen hier. Zugegeben, eine Zeitlang fühlte ich mich nicht wohl. Jetzt geht es mir besser. Viel besser sogar. Findest du das nicht auch, Ruth?«
    47. Kapitel
    M eine Arbeitsbewilligung traf ein. Chiyo Sakamoto legte mir einen Vertrag für drei Arbeitstage in der Woche vor. Die Arbeitszeit konzentrierte sich auf das Wochenende, weil die Kinder ja Schule hatten. Dazu mußte ich die Zeit für die Be-schaffung des Materials, die Gestaltung der Unterrichtsstunden rechnen. Bevor ich mit Kunio im Onjôkan arbeitete, hatte ich mir wenig Gedanken über seine Arbeitsweise mit den Kindern gemacht. Plötzlich sah ich ihn in einem neuen Licht; ich wußte bereits, er war ein Mensch, der seine Handlungen nicht nach bestehenden Regeln einrichtete. Es lag etwas so Echtes in seiner Verbundenheit mit den Kindern. Männer waren oft befangen; sie hatten die Fähigkeit verloren, jenem reinen Impuls der kindlichen Gefühle zu folgen. Aber Kunio zeigte seine Gefühle ohne Vorbehalt, als ob er nie auf den Gedanken kam, daß die Kleinen ebenso unzuverlässig und enttäuschend sein konnten wie die Erwachsenen. Er hatte mit den Kindern die liebevoll-witzige Art, die genau richtig war. Ich sah das mit großer Rührung. In seiner Zuneigung zu den Kindern lag eine starke seelische Unabhängigkeit. Er zeigte rückhaltlos jenen frei spielenden Geist, der allen angeboren ist, dem aber nur wenige seinen Lauf lassen, weil sie sich einbilden, ein solches Verhalten sei unter der Würde von Erwachsenen.
    Künstler gehen diesen Weg, indem sie Schminke, Maske und Kostüme tragen. Auf einer Bühne zu spielen, bedeutet in ge-wissem Sinne, wieder zum Kind zu werden, wenn auch nicht in kindlicher Naivität. Kunio und ich waren uns ähnlich: Unser Handeln entsprach der gleichen Unbefangenheit. Schon möglich, daß wir naiv waren; blind waren wir nicht.
    Unser Unterrichtskonzept begann mit der »Zauberflöte« und entstand auf ganz natürliche Art, wie ein Stein ins Wasser fällt und nach allen Seiten Wellenringe aussendet. Wir hatten den Kindern die Ouvertüre vorgespielt und sie gefragt, was für Empfindungen die Musik in ihnen auslöste. Die Kinder beschrieben lebhaft ihre inneren Bilder. Ich begann, diese Bilder tänzerisch umzusetzen, erklärte den Kindern, daß sich sogar Pflanzen auf anmutige, rhythmische und geordnete Weise bewegten. Natürlich werden sie vom Wind hin und her geschüttelt oder hängen im Regen herunter. Aber im Laufe des Tages wenden sie sich wieder der Sonne zu. Ich

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