Seidentanz
leid«, sagte ich, etwas beschämt, »das bringe ich nicht fertig. Aber Lea wird es Ihnen beibringen, ganz bestimmt.«
»Nun«, sagte Hanako in zufriedenem Tonfall, »sie wird ja bald da sein.«
Sie werden reden, dachte ich, viel reden und heiter reden.
Und manchmal auch weinen, aber das gehört dazu. Es waren nicht nur Worte, die sie verbanden, sondern das, was aus fernen Erinnerungen kam. Sie würden ihre Freundschaft wiederfinden, frisch und ungetrübt. Sie würden glücklich sein in ihren ganz privaten Träumen, zurückversetzt in jenes andere Zeitalter, in dem es weder Kunio noch mich gab.
Es war ein kalter, sonniger Tag. Wir saßen am Rande der Vorhalle. Hanako hatte alle Schiebetüren weit geöffnet. Das Sonnenlicht war noch so hell, daß die Räume dunkel erschienen und die Holztäfelung wie Honig glänzte. Ich trug meinen Parka, einen Schal und Wollsocken; die Stiefel hatte ich ausgezogen. Hanakos dickwattierte blaue Kimonojacke ließ sie noch graziler und feenhafter erscheinen. Der Wind brachte den Geruch des feuchten Waldbodens. Im Kakibaum hingen vereinzelte Früchte wie gelbe Laternen. Taro, der Hund, lag vor seiner Hütte und genoß die Wärme. Neben dem Schuppen stand Kunio und hackte Holz. Die Axt sauste immer wieder im hohen Bogen auf das Holz hinunter, das sie in zwei Teile spaltete. Die Schneide funkelte in der Wintersonne; jedesmal, wenn sie das Scheit traf, ertönte ein »Klack«, das auf besondere Art der Zeit ihren Rhythmus verlieh wie ein schwingendes Pendel. Irgendwann wurde auch im Nebenhaus die Schiebetür aufgestoßen; Kunihiko trat auf hölzernen Getas hinaus. Er hatte eine Stunde geschlafen; jetzt zog er tief die klare, kalte Luft ein. Über seiner weißen Hakama trug er eine dicke Steppjacke, dazu eine Wollmütze. Er stapfte auf uns zu, ließ zur Begrüßung einen freundlichen Grunzton hören. Hanako und ich verbeugten uns lächelnd. Der alte Mann nahm schwerfällig Platz. Sein elfenbeinfarbenes Gesicht kam mir eingefallen und müde vor. Es war, als ob die Falten, mit den braunen Flecken verschmolzen, sich im Schlaf noch tiefer in die Haut gegraben hätten. Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.
»Tee?« fragte Hanako heiter. Er machte ein zustimmendes Zeichen. Hanako glitt geschmeidig auf die Fersen zurück und goß Tee, den sie in einer Thermoskanne warm hielt, in einen Keramikbecher. Kunihiko ließ sich ächzend neben mir nieder.
Er deutete auf den Brief in meiner Hand.
»Gute Nachrichten?«
»Ja, danke. Sehr gute Nachrichten. Meine Mutter wird Hanako-San im Frühling besuchen.«
»Sodesukaf – Wirklich?« In den braunen Augen blitzte Schalk auf. Er nickte mir bedeutungsvoll zu.
»Beide Frauen haben sich mächtig verändert, ne? Sie müssen ein Schild auf der Brust tragen, ne? Damit sie sich wiederer-kennen.«
»Kunihiko, du bist unverschämt!« Hanako machte – zum Schein – ein empörtes Gesicht. Kunihiko zwinkerte mir zu; ich verbiß mir ein Lachen, aber so, daß er es merkte. Er freute sich auf eine fast kindliche Art, daß ich auf seinen Scherz einging.
»Hanako-San weiß Dinge über meine Mutter, die sogar ich nicht wußte.«
»Aha«, schmunzelte der Alte. »Geheimnisse also?«
»Kunihiko, das ist nicht deine Sache«, sagte Hanako, in gespielt entrüstetem Ton.
»Sie hat ja Leas Tagebücher fünfzig Jahre lang aufgehoben«, sagte ich. »Und auch diesen Anhänger, der meiner Großmutter gehörte.«
Ich zog das Medaillon aus meinem Pullover. Er neigte sich blinzelnd vor, betrachtete die Gravur mit Kennerblick.
»Eine Lilie, nicht wahr? Hübsche Arbeit! Früher war man sehr genau in diesen Dingen.«
Ich ließ den Anhänger wieder in meinem Pullover verschwinden. Kunihiko trank seinen Tee, die Augen ins Leere gerichtet. Der alte Mann war plötzlich still geworden; er hatte, von einem Atemzug zum anderen, die Außenseite herausge-kehrt, war in einem statuarischen Zustand des Nichtsehens, des Nichthörens versunken. Wie anders er auch aussehen oder sein mochte, er besaß doch im Grunde seines Wesens das, was liebenswert an Kunio war. Und trotz der unbestimmten Scheu vor seiner Würde ruhte tief in meinem Innersten das Bewußtsein, daß auch er mit jedem Tag mehr ein Teil meines Ichs geworden war.
Er sieht wirklich sehr krank aus, dachte ich traurig. Sein bal-diges Ende mußte es sein, was selbst dem Licht dieses Nachmittags eine so merkwürdige Melancholie verlieh, wie es vor dem Frost geschieht, wenn die Landschaft kristallklar und blau schimmert. Auf
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