Seidentanz
Poren drang kalte Nässe, und irgendwo tropfte Wasser. Dazu kam, daß ich an den Füßen gefesselt war, mein Gleichgewicht suchen mußte wie eine Artistin auf einem Seil. Meine Glieder fühlten sich steif an, ich war wie beschwipst, wollte einen Fuß heben und stolperte über einen Gegenstand, was einer Tänzerin nie passieren darf. Irgend etwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu, aber ich konnte das nicht mehr beurteilen, weil ich hundemüde war. Ich versuchte die Augen offenzuhalten, aber es gelang mir nicht, meine Lider waren bleischwer. Das Letzte, was ich fühlte, war, daß ich schwankte und taumelte. Der Boden, dunkel und naß, kam mir entgegen. Ich vernahm den Schock wie von weit her; es klang, wie wenn ein bronzener Türklopfer auf Holz schlägt; ein dumpfes, etwas krachendes Geräusch. Dann Finsternis und Stille.
Doch nicht lange. Ich fühlte mich hochgehoben und gestützt, sah Gesichter, hörte Stimmen. Sie klangen fern und hohl, wie in einer Halle voller Echos. Eine Handvoll eisiger Körnchen traf mein Gesicht. Es regnet, dachte ich, wie merkwürdig! Die Venezianer hatten den Regen herbeigesehnt, jetzt war Carnevale, es hätte ruhig noch ein paar Tage schön bleiben können.
Durch den Regenvorhang schimmerten Masken, weiße und goldene und solche aus Aluminium, die wie Metall wirkten, sie waren in diesem Jahr große Mode. Ich blinzelte, hob den Kopf und sah Augen vor mir, dunkle Augen in einem weißen Gesicht: Naomi. Ihre Hände, hart und fest wie eben die Hände einer Tänzerin, umklammerten meine Hände. Mir lief ein Schauer über den nackten Körper. Ich hörte Naomi ein paar Worte rufen. Man zog mir einen Pullover über. Die Wärme tat gut. Andere Hände griffen mir unter die Arme, hoben mich hoch. Endlich stand ich aufrecht, wenn auch nur auf schwan-kenden Füßen. Es war Pierre, der mich festhielt, seinen Arm unter den meinen schob. Er atmete heftig und schien wie unter dem Eindruck irgendeines persönlichen Ärgernisses. Ich stammelte:
»Ich bin schon wieder in Ordnung.«
»Du siehst nicht danach aus«, erwiderte er in knappem Ton.
Ich befühlte meine schmerzende Stirn. Eine Beule begann sich zu bilden, nichts Schlimmes. Hinter den verkohlten Mauer-resten schoben sich Wolken hinauf. Der Sprühregen ging in Prasseln über. Das Wasser tropfte von unserem Haar, von den Gesichtern, von den Kleidern. Wir waren bis auf die Haut durchnäßt. Der Regen würde die Kostüme in nasse Lumpen verwandeln, den Flitter löschen, die Schminke verwischen; er würde die Kanäle zum Anschwellen bringen, die Leitungen verstopfen, fauligen Schlamm an die Hauswände klatschen.
»Komm, gehen wir. Sonst holst du dir eine Erkältung.«
Alwins Stimme klang sanft und vernünftig, wie immer. Er hüllte mich in seinen Mantel ein, der viel zu groß war und wie ein Hundefell roch.
»Ich will nicht naß werden«, sagte ich.
»Wir laufen da durch«, sagte Pierre und nahm meinen Arm.
Naomi sah ich nicht mehr; wahrscheinlich war sie gegangen, um ihre Kleider zu holen, sie hatte ja fast nichts an. Der Wind blies Regen durch die Gassen wie einen Wasserstrahl aus einem Feuerwehrschlauch. Regenschirme spannten sich auf, unter Kreischen und Gekicher schleiften Frauen ihre langen Röcke durch die Wasserlachen. Fröstelnd, aufgelöst, durchnäßt liefen wir über einen Platz. Ich fing plötzlich an zu lachen.
»Was ist denn los mit dir?«
»Ich bin in eine Pfütze getreten.«
»Los, weiter!«
Ich sah eine Tür näher kommen, schummriges Licht und Treppenstufen, abgetreten und so hoch, daß mir jeder Schritt in den Kniekehlen weh tat. Dann eine zweite Tür, die aufgestoßen wurde. Man machte Licht. Ich sah ein großes Doppelbett, ein rotes Sofa, einen alten Spiegel, mit Bronzeputten dekoriert.
Wie kitschig, dachte ich. Im Raum herrschte das übliche Chaos: alte Turnschuhe, Handtücher, Mineralwasserflaschen, zur Hälfte ausgetrunken, Schminkzeug, zusammengeknüllte Pullover. Es war kalt und feucht, der Regen schlug an die Scheiben.
Ich machte zwei Schritte bis zum Bett und ließ mich hineinfal-len, als könnte ich mein Gewicht nicht mehr tragen. Formen und Gesichter verschwammen vor meinen Augen, wie in einem unruhigen Film. Ich fühlte, wie Alwin mir behutsam die Schuhe von den Fügen zog.
»Ich hole dir etwas Heißes zum Trinken, da wirst du dich gleich besser fühlen.«
Meine Zähne klapperten. Ich wickelte mich in seinen Mantel, zog die Knie ganz fest hoch.
»Unnötig!«
»Willst du nicht Fieber
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