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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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gerne den Bürgerschreck«, sagte Naomi.
    »Wir verspotten die Strenge und Grausamkeit des Lebens, das hat bei uns Tradition.«
    Ihr Lächeln war fern und etwas traurig.
    »Die Welt ist entsetzlich, das wissen wir doch alle. Tanz ist unser Werkzeug, der Ausdruck unseres Verhaltens zu dieser Welt. Wir sind eine Gruppe von extremen Individualisten. Aber wir halten zusammen. Zwischen uns gibt es ein Familiengefühl, eine Art Bündnis. Wir helfen uns gegenseitig, wo wir können.
    Frei zu sein, ist eine harte Arbeit.«
    Pierre goß frischen Wein ein.
    »Im Grunde seid ihr große Moralisten.« Sie lehnte sich zu-rück, blickte ihm amüsiert ins Gesicht. »Weißt du, man könnte uns fast nachsagen, wir wären religiös, so moralisch sind wir!«
    Naomi und ich tanzten noch zweimal in Venedig. Das erste Mal mitten auf dem Markusplatz. Naomi streute Salzkörner auf die Fliesen, zog mit feierlicher Ruhe einen glitzernden Kreis.
    Das Salz kam aus dem Meer, der Wiege des Lebens, und hatte eine reinigende Kraft. Die Venezianer spürten diese Magie; auch wenn sie keine Erklärung für etwas Seltsames, Ungewohntes finden mußten, achteten sie die Zeichen, aus dem Instinkt heraus. Unter den Tausenden, die sich auf dem Platz drängten, wagte keiner, den Ring zu übertreten. Auch Pierre und Alwin standen außerhalb, vom Tanz ausgeschlossen; sie beobachteten, hielten den Atem an. Pierre hatte seine Gitarre dabei, doch spielte er diesmal nicht. Naomi und ich tanzten in diesem Kraftfeld, in dem wir alleine waren. Weiß und rot bemalte Schemen, die sich umkreisten, sich ergänzten, sich Blik-ke zuwarfen, wie in einem Spiegel. Schemen, greifbar aus einer anderen Welt gekommen, mit einem Leuchten von Quecksilber in obsidiantiefer Nacht. Und noch später saßen wir müde auf den Fliesen, Naomis Kopf lag an meiner Schulter. Die Kuppeln der Basilika schimmerten wie poliert, der Campanile, von Scheinwerfern angestrahlt, ragte in den Nebel. Mir kamen die hunderttausend Stämme in den Sinn, die bei seiner Erbauung in den Boden gerammt wurden, um die Fundamente zu stützen.
    Ein Wald war damals gestorben; die Lagune hatte seine Seele verschluckt, die Sümpfe waren von ihr gefüllt, ihre Lungen zogen den Geruch des Meeres ein. Ich spürte unter den Bodenplatten das ferne Vibrieren ihrer Träume.
    Das letzte Mal tanzten wir vor dem zerstörten Teatro La Fe-nice. Naomi hatte darauf bestanden; sie höre die Ruinen klagen, sagte sie, und wollte sie mit ihrem Tanz erfreuen. Sie sagte das ganz ernst, und mir kam das nicht ungewöhnlich vor. Es gehör-te zu unserer gemeinsamen Art von Logik. Das schönste Theater Italiens, kurz vor Carnevale niedergebrannt! Ein Unfall? Die Mafia? »Ma chi lo sa?« seufzte Signora di Lombardi. »Es gibt immer welche, die daran verdienen.«
    In Italien ist der Skeptizismus stabil. Das Opernhaus, dieser Schmuckkasten in Rot und Gold, war bereits 1836 schon einmal den Flammen zum Opfer gefallen. Man hatte es aufgebaut, manche hatten daran verdient, und der Name »Phoenix« klang wie eine Beschwörungsformel. Und nun tanzten Naomi und ich vor dem absurden Gebilde aus verkohltem Schutt. Nackt und schmal und weiß geschminkt, streckte Naomi ihre Kinderhände den rußgeschwärzten Balken entgegen, eine tröstende, zärtliche Geste; die Menschen sahen zu, schweigend. Und da spürte ich es, dieses Zittern der Steine. Es war, als ob das Dunkel unter der Erde sich regte. Das Gefühl kam von nirgendwoher. Mir brach plötzlich der Schweiß aus. Die Gegenstände in meiner Nähe waren scharf und klar erkennbar, aber in der Ferne sah ich bloß undeutliche Schatten, weil Leuchtkäfer vor meinen Augen schwirrten. Ich hatte die Empfindung, auf einer Bühne zu stehen, zwischen bizarr geformten Trümmern und roten Vorhangfetzen, und ich vernahm von irgendwoher ferne Klän-ge, halb verweht über die Dächer; Klänge von irgendwelcher Musik, erfunden oder tatsächlich vernommen, doch meine Lippen öffneten und schlossen sich ununterbrochen, eine Aufgabe, der ich nur mit größter Mühe nachkam. Nicht in diesem Augenblick und auch nicht später wußte ich, ob die Töne aus meinem Munde kamen. Sie hörten sich manchmal heiser und schrecklich erstickt an, dann wieder wie das Quäken einer Kindertrompete, ein schriller Mißklang, der alles übertönte. Die Zuschauer starrten mich an; ich fragte mich, was sie wohl sehen mochten. Dann war mir, als ob ich Sodbrennen hätte. Es stank nach kaltem Rauch, nach Kloake und Schlamm, mir wurde übel. Aus meinen

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