Seidentanz
Rechts neben der Tür saß ein entfernter Verwandter hinter einem Tisch, der mit einem wei-
ßen Tuch bedeckt war. Die geladenen Gäste blieben dort stehen, um sich ins Gästebuch einzutragen und der trauernden Familie in einem schwarzweißen Umschlag einen Geldbetrag als Trauergeschenk zu überreichen. Später würde die Familie den Gebern ein Gegengeschenk senden, das etwa die Hälfte des erhaltenen Geldbetrages ausmachte. Unter den Trauergästen befanden sich auch Daisuke, Sagon und Aiko. Beide Männer trugen schwarze Anzüge, denn sie waren nicht als Priester, sondern als Freunde der Familie anwesend.
Bald war der Raum voller Menschen, die in Reihen vor dem Altar knieten. Der buddhistische Priester, ein rundlicher Mann, sang mit kraftvolldumpfer Stimme die Gebete, die um Hilfe und Führung des Wandernden auf dem jenseitigen Pfad baten.
Die Kerzen brannten, der Weihrauch kräuselte sich durch das Schnitzwerk des Altars aus vergoldetem Pappelholz, füllte den Raum mit einem Geruch nach Rinden und Gräsern. Ab und zu tönte in der Stille das rhythmische Klopfen einer hölzernen Trommel, und zwei andere Priester erhoben kleine Zimbeln über ihre Köpfe, schlugen klingend und sanft die Begleitung.
Dann kniete Hanako vor dem Altar, opferte Weihrauch und sprach ein Gebet. Sie wirkte sehr klein in ihrem schwarzen Kimono, das weiße Haar im Nacken zu einem Knoten gebunden. Ich beobachtete die ruhige Haltung, die geschickte Art, wie ihre verkrüppelte Hand die vorgeschriebenen Gesten ausführte. Ihr Gesicht war blaß und eingefallen. Sie mußte müde sein. Aber sie hatte schon viele Bestattungen miterlebt; ihre Erinnerungen waren lebenskräftig. Nach einer Weile half ihr Kunio wieder hoch, führte sie langsam an ihren Platz, bevor er gelassen die gleiche rituelle Handlung vollzog. Doch etwas an dieser Trauerfeier paßte nicht zu ihm; in seiner Ruhe lag etwas Abwesendes. Mir kam in den Sinn, daß Kunihiko die Riten mit der gleichen Distanziertheit vollzogen hätte. Als ob er dachte, daß solche Dinge nicht wirklich wichtig waren. Es waren bloß Spielregeln; widrig, aber sie mußten getan werden. Nun kam Rie an die Reihe. Sie war sehr modisch gekleidet, in ein schwarzes Kostüm aus Moiré, elegant und theatralisch. Ihr Gesicht war dezent geschminkt, die Augen kühl. Sie war die Tochter des Schmiedemeisters; sie wußte, was sie den Vorfahren schuldig war. Die Vergangenheit hatte ihren Charakter gebildet, äußere Konventionen berührten sie nicht. Kunihikos Blut war ihr Blut; sie zeigte nicht die Spur von bescheidener Demut.
Nacheinander standen nun die Trauergäste auf, gingen die kurze Entfernung bis zum Altar und knieten dort nieder. Der Raum war mit Geflüster und leisen Schritten angefüllt. Und dann war die Zeremonie vorbei; der Sarg war, dem Brauch entsprechend, von Kunio zugedeckt worden. Dann hatte er mit einem Stein die Nägel zugeschlagen; die Einäscherung würde zwei Tage später im Krematorium vorgenommen werden.
Das Abschiedsessen fand im großen Wohnraum statt, dessen Schiebewände ganz zurückgezogen wurden. Das fertige Mahl hatte ein Restaurant geliefert; das Geschirr wurde abgeholt und die Küche in Ordnung gebracht. Förmlichkeit und Andacht wurden jetzt nicht mehr verlangt. Der Saal war voller Eßgeräusche und Stimmen, es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Die Fotografen, die sich bisher diskret verhalten hatten, verfielen in hektische Betriebsamkeit, schoben sich mit beharrlicher Ellbogenarbeit durch die Menge. Ein Techniker trug eine Kamera auf den Schultern, der Assistent zog Kabel hinter ihm her. Blitzlichter flammten auf. Prominente warfen sich in Posi-tur.
»Mein Vater würde das alles abscheulich finden«, sagte Rie.
»Er hat die sogenannte Elite nie ernst genommen. Er wollte sich nicht ihretwegen zum Narren machen. Kunio gleicht ihm sehr.«
Sie sah ungeduldig aus und rauchte nervös. Der Schnee hatte nachgelassen. Draußen schien etwas Sonne, aber sie brachte keine Wärme. Durch die offene Schiebetür beobachteten wir Kunio, der von zwei Reportern bedrängt wurde. Ganz ruhig stand er da, warf manchmal mit einer unbewußten Bewegung sein Haar aus dem Gesicht.
»Er hat viel Geduld«, sagte ich.
»Es ist das erste Mal, daß ich ihn im schwarzen Anzug sehe.
Er steht ihm eigentlich nicht übel«, stellte Rie fest.
Wir tauschten einen Blick. Wir hatten keine Geheimnisse voreinander. Es war ein schönes Gefühl.
»Er spielt seine Rolle gut«, meinte ich.
Sie stieß den Rauch durch
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