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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Sie ist mit etwas Geduld sehr leicht zu verstehen. Und Künstler haben im Gegensatz zu Journalisten einen wesentlichen Vorteil: Sie halten sich nicht an Irrtümer, die sich auf Wunschdenken gründen. ›Le poète à toujours raison‹«, zitierte er, bevor er einen Schluck Tee nahm. Ich starrte ihn verblüfft an.
    »Aber Sie sprechen ja Französisch!«
    Er schüttelte sich vor Lachen, so daß er fast seinen Tee verschüttete.
    »Das ist mein ganzes Französisch, dieser Vers! Ein Freund hat ihn mir beigebracht. Ja, ja, Künstler sind Seher, das wissen Sie besser als ich. Politiker sehen die Dinge, wie sie sein sollen, Künstler, wie sie sein werden. Ich – ich bin nur Priester, und die Logik ist mir im Weg.«
    Er blinzelte mir über den Rand der Schale spöttisch zu. Es hörte sich an, als ob er mich neckte; aber er hatte mich bereits durchschaut und richtete keines seiner Worte ins Leere.
    Naomi schwieg, was bei ihr nicht ungewöhnlich war. Anmutig saß sie da; eine Versonnenheit löschte jeden anderen Ausdruck auf ihrem Gesicht aus. Sie zuckte leicht zusammen, als der Priester ihr auf einmal eine Frage stellte. Sein Ausdruck war unergründlich. Sie antwortete lebhaft; da war eine seltsame Regung von Trotz in ihrer Stimme und auch in ihrem Gesicht zu erkennen. Ihre Augen wurden plötzlich dunkler, ihre Lippen lebendiger. Wenn ich auch vieles nicht verstand, gewöhnte ich mich doch langsam an den Sprachrhythmus. Ich horchte weniger auf die Bedeutung der Worte als auf ihren Klang. Es lag eine besondere Dynamik in dieser Sprache. Plötzlich traten Pausen ein, die den Satz zergliederten und fälschlicherweise glauben ließen, er sei zu Ende. Sie konnten zu unhöflichen Unterbrechungen führen. Ich wollte nicht, daß mir so etwas passierte. Solange ich die Sprache noch nicht beherrschte, muß-
    te ich genau auf den Atemrhythmus achten. Die Haltung des Körpers half mir auch.
    Inzwischen hörte Daisuke zu, was Naomi sagte, und nickte vor sich hin; auf seinem Gesicht spiegelten sich der Kummer und das Verständnis eines Menschen, der um eine schwierige Situation weiß und nichts dagegen tun kann. Schließlich sprach er ziemlich lange; Naomis Atem ging rascher, ihre Hände verkrampften sich ineinander. Auf einmal schüttelte sie heftig den Kopf. Sie ergriff ihre Schale Tee, leerte sie in einem Zug, wandte sich von Daisuke ab. Sein Gesicht verfinsterte sich, ein Seufzer dehnte seine breite Brust. Er lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Schweigen. Ich erkannte an seinem Blick seine große Zuneigung zu ihr – eine Verbundenheit, mit Zärtlichkeit und tiefer Besorgnis vermischt. Doch die Stille wirkte wie ein Bruch, sie hatte etwas Endgültiges an sich. Nach einer Weile blinzelte der Priester, als ob er sich innerlich einen Ruck gab, bevor er wieder das Wort an mich richtete. Seine Stimme klang sanft wie zuvor.
    »Sie sind also hier, um bei Mori-Sensei Unterricht zu nehmen?«
    »Wenn er mich aufnimmt, wäre es mein größter Wunsch.«
    Er richtete sich leicht auf. Mir war, als ob sich der scharfe Blick wie eine Pfeilspitze in meine Seele bohrte.
    »Wenn er Sie aufnimmt, ja. Naomi hat er sozusagen zum Teufel gejagt.«
    Ich wandte ihr erstaunt das Gesicht zu. Das hatte sie mir nicht erzählt.
    »Ach, warum nur?«
    Ihr Ausdruck war wieder heiter; sie verbiß sich ein Lächeln.
    Die Antwort kam von dem Priester.
    »Im Exzentrischen liegt eine Gefahr. Ihr Geist war nicht im Gleichgewicht. «
    »Sie hat es aber trotzdem geschafft«, entgegnete ich.
    Er blinzelte amüsiert.
    »Das war ja vorauszusehen. Den Eigensinn hat sie von ihrem Vater. Aber Mori-Sensei war der Meinung, daß er Naomis Eigensinn nicht brechen durfte. Eigensinn ist in ihrem Fall –
    eine Tugend. Manchmal muß ein Lehrer einen anderen Weg gehen, sogar fort von seinen Schülern.« Daisukes Augen funkelten mich an. Machte er Witze oder meinte er es ernst? Innerlich spürte ich, daß er die Wahrheit sprach. Der Lehrer hatte Naomis innerstes Wesen erkannt und ihr auf diese Art gezeigt, daß er sie schätzte. Meine Achtung vor ihm stieg, meine Neugierde ebenso.
    »Wann kann ich ihn sehen?« fragte ich.
    Auf dem Tisch lag ein Handy. Der Priester wählte eine Nummer. Er diskutierte eine Weile, ohne die Augen von mir zu lassen. Als das Gespräch beendet war, nickte er mir zu.
    »Mori-Sensei erwartet Sie um drei, im Ichihime-Schrein.«
    Er erhob sich, das Gespräch war beendet. Der Priester begleitete uns bis zur Tür; er war wieder ganz heiter und scherzte mit Naomi, als

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