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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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beweglich.
    Die roten Nägel waren wie fünf blutige Tropfen. Ich fühlte ein Kribbeln im Nacken, blinzelte, nahm einen Schluck.
    »Gut?« fragte Naomi.
    »Ich werde nie mehr aus der Wanne steigen«, seufzte ich.
    Sie lachte; wir lachten beide. Das Kribbeln verflog.
    »Wie fühlst du dich?« fragte sie.
    Ich bewegte den Hinterkopf am Wannenrand hin und her.
    »Am liebsten möchte ich schlafen.«
    Sie kniff schelmisch die Lider zusammen.
    »Unter keinen Umständen! Du mußt dich jetzt an die japanische Uhrzeit gewöhnen. Bei uns fängt der Abend erst an. Jetzt gehen wir aus. Essen, und dann in eine Disco. Du wirst schon wieder wach werden.«
    Ich richtete mich auf.
    »Klingt verlockend!«
    Sie trank, ihre Augen auf meine gerichtet; ich trank auch.
    Der lauwarme Sake schmeckte wie süßer Branntwein. Ich streckte die Hand aus, berührte mit den Fingerspitzen ihren Mund; ließ meine Hand über ihren zarten Hals gleiten, über die Brüste. Ihre Haut zog sich leicht zusammen, die rosigen Spitzen richteten sich auf. Ich spürte ein Ziehen in mir, tief in der Bauchgrube. Sie sah unwillkürlich an sich hinunter. Ihr Haar fiel über ihre Brust. Sie warf es mit einer Kopfbewegung zu-rück. Ihre Wangen waren eine Spur dunkler geworden; ihre Augen leuchteten matt und feucht, eine Art Schleier trübte ihre Pupillen. Unsere Blicke flackerten, hielten einander fest. Es ließ sie nicht unberührt, aber Selbstbetrug lag ihr nicht. Sie lachte kurz auf, rückte ein paar Zentimeter von mir ab. Sie war im Bann einer Geschichte, von der sie sich nicht freimachen konnte. Liebe ist eine anspruchsvolle Plagerei; der Versuch, sich ironisch abzugrenzen, ist zwecklos. Zu dem Preis, den man zahlen muß, gehört auch der Schmerz, das ist gerecht. Der Gedanke, diesem Schmerz ein Ende machen zu können, war verführerisch. Und es war zu schwierig, sie zu fragen, welchen Preis sie bereit war zu zahlen. Die Antwort würde zwangsläufig ausbleiben. Und so stellte ich ihr diese Frage nicht, weder an diesem Abend noch an einem anderen.
    8. Kapitel
    D aisuke Kumano, der jüngere Bruder von Naomis Mutter, war Kannushi – Hoherpriester – im Yasaka-Schrein. Das Stadt-viertel Gion, zu dem das Heiligtum gehörte, war ganz in der Nähe. Das Gelände bildete eine Art Bauminsel mitten in der Stadt; einen Ort der Ruhe, des Innehaltens. Eine Anzahl Steinstufen führte zu einem hölzernen Torbogen, weiß und zinnoberrot bemalt und mit vergoldeten Schnitzereien verziert. Die Farben leuchteten frisch, ohne überladen zu wirken. Flankiert wurde das Tor von zwei Pfosten, auf denen verschnörkelte Steinlöwen grimmig die Lefzen bleckten. Als ich durch das Portal schritt, achtete ich unwillkürlich darauf, daß mein Fuß nicht die Schwelle berührte. Ein Weg schlängelte sich unter Bäumen hindurch. Die Luft war getränkt vom Duft der Harze und warmen Blätter. Hier und da befanden sich andere Torbö-
    gen – Torii, wie sie genannt wurden. Sie waren zumeist aus Stein gebaut, alt und moosbewachsen. Sie führten zu einer Anzahl kleiner Heiligtümer, ähnlich wie Kapellen auf einem Kreuzgangweg, die alle die gleiche zinnoberrote Farbe zeigten.
    Die Bäume hatten ihre Zweige verwoben, bildeten ein Netz, in dem Krähen hüpften. Sie wirbelten flügelschlagend wie schwarze Tücher herum, ihr Krächzen erfüllte die Luft.
    »Warum diese Krähen, Naomi?«
    Sie blickte empor.
    »Ach, das sind Götterboten. Man sagt, daß die Krähen, die in den Baumkronen schlafen, sich wie die Weisen für ein höheres Leben entschieden haben. Sie verkörpern auch die Elternliebe.
    Es gibt ein Lied, das wir in der Schule lernen.«
    Sie sang es mir vor, mit hoher, etwas kindlicher Stimme:
    »Warum singt die Krähe?
    Weil in ihrem Nest, in den Bergen,
    Ein Kind, sieben Jahre alt, auf sie wartet.
    Die Krähe singt:
    Kaa, kaa, mein Liebes,
    Warte, bald bin ich da…«
    Die schwingende Melodie bezauberte mich. Ich lächelte Naomi an.
    »Hübsch!«
    Sie hob die Hand, bewegte sie lebhaft verneinend hin und her.
    »Gomennasai, ich singe falsch, das hört sich entsetzlich an!«
    Unter den Büschen plätscherte ein kleiner Brunnen, an dessen Rand eine Anzahl Schöpflöffel aus Bambus lagen. An den Steinen wuchsen Moose, die dem Wasser seine smaragdgrüne Färbung verliehen. Naomi tauchte einen Schöpflöffel in das Wasser, goß es über meine Hände; dann reichte sie mir den Löffel; ich wiederholte für sie die gleiche rituelle Handlung.
    Wir gingen weiter; der Kiesboden knirschte unter unseren

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