Seidentanz
erwiderte ihren Willkommens-gruß.
Wir stiegen aus unseren Turnschuhen, schlüpften in Pantoffeln aus grünem Plastik, welche die Priesterin uns reichte. Sie führte uns in einen Raum am Ende des Flurs, zur Hälfte Empfangszimmer, zur Hälfte Büro, mit Faxgerät und Computeran-lage. Es war ein warmer Tag, und die Tür zum Garten stand offen. Das grüne Licht der Büsche und Bäume fiel in den Raum. An den Wänden hingen Fotos von Brautpaaren, japanisch und europäisch gekleidet, alle auf die gleiche Weise zurechtgemacht. In einem Schaukasten waren verschiedene, aus Wachs oder Plastik nachgebaute Gerichte ausgestellt, die ich amüsiert betrachtete.
»Hochzeiten sind bei uns ein bedeutender Industriezweig«, kommentierte Naomi, nicht ohne Ironie. »Die Schreinverwal-tung kümmert sich um alles und kassiert das Geld. Hier kann das Brautpaar sogar das Hochzeitsmenü auswählen.«
Ich lachte. Die Priesterin deutete auf die niedrigen Sessel, entschuldigte sich und ging hinaus. Wir setzten uns vor einen Tisch mit Glasplatte, auf dem ein weißes Spitzendeckchen lag.
Kaum zwei Minuten später glitt die Schiebetür mit schleifendem Geräusch zur Seite, ein Mann im weißen Priestergewand erschien. Naomi und ich erhoben uns. Er verbeugte sich, wir verbeugten uns auch. Ich war in Japan gerade erst angekommen, aber ich beobachtete scharf, das war bei mir eine Begabung. Ich hatte schon bemerkt, daß die Japaner sich nicht auf dieselbe Weise vor den Eltern, den Geschwistern, den Freunden oder den Vorgesetzten verbeugen. Japaner verbeugen sich schnell und ohne viel Aufmerksamkeit. Sie scheinen in Sekun-denschnelle zu erfassen, wie sie dies zu tun haben. Die Unterschiede in der Verbeugung zeigen alle Schattierungen von Höflichkeit, Respekt, Zuneigung oder Vertrautheit. Kompliziert? Schon möglich, aber diese Dinge schulen die Wahrnehmung. Die menschlichen Beziehungen reduzieren sich nicht auf eine Gleichmacherei, die – wenn es wirklich darauf ankommt –
ohnehin nicht beachtet wird.
Daisuke Kumano war hochgewachsen und schlank, von mattgetönter, ganz gleichmäßiger Hautfarbe. Sein Haar leuchtete fast bläulich. Die untere Hälfte seines Gesichtes, zart mit seinen geschwungenen Lippen, dem runden Kinn, stand im Gegensatz zu der kräftigen Nase, den dunklen, von auffallend langen Wimpern beschatteten Augen. Sie leuchteten pechkoh-lenschwarz, diese Augen, ungeheuer jugendlich, klar und funkelnd.
Er begrüßte Naomi mit der herzlichen Nachsicht, die man einem außergewöhnlichen Kind entgegenbringt, von dem man weiß, daß es – was immer auch geschieht – seine eigenen Wege gehen wird. Seine Stimme war tief und sanft wie das Grollen eines Panthers – und ebenso fesselnd. Naomi überreichte ihm eine Schachtel Reisgebäck, denn in Japan gehört es sich, ein Geschenk mitzubringen. Inzwischen kam ein jugendlicher Priester, der befangen grüßte und drei Schalen mit dampfendem grünen Tee brachte. Er stellte sie auf den Tisch, bevor er sich mit tiefer Verbeugung und eingeschüchterter Miene verzog.
Daisuke Kumano forderte uns mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen, und setzte sich uns gegenüber. Seine scharfen Augen glitten zu mir herüber, seine Stimme klang tief und freundlich.
»Verstehen Sie etwas Japanisch?«
Ich antwortete, daß ich es lernte. »Mit Kassetten und Wörterbuch.«
Ein Lächeln kräuselte die dunklen Lippen. »Das ist gut. Aber die Übung im täglichen Sprachgebrauch ist besser. Öffnen Sie Augen, Ohren, Herz, und Sie werden schnell japanisch lernen.
Und keiner wird es Ihnen verübeln, wenn Ihre Satzstellung nicht stimmt oder Sie das falsche Wort gebrauchen.«
Ich erwiderte sein Lächeln.
»Vielen Dank. Ich werde Ihren Rat befolgen. Und am Anfang dastehen wie der Ochse vor dem Berg. «
»Das macht nichts.«
Er schüttelte den Kopf. Sein Englisch war trotz seiner merkwürdigen Aussprache leicht zu verstehen, weil er sich ohne Schnörkel ausdrückte.
»Ausländer, die unsere Sprache zu gut verstehen, zeigen, daß sie wenig von Intuition halten. Dafür wissen sie alles über Japan. Wir haben keinen Ehrgeiz, zu widersprechen, weil uns die Konfrontation nicht liegt. Ich sage das nicht, um mich zu recht-fertigen, es ist unsere Schuld. So kommt es, daß wir sie – nicht ohne Herablassung, gebe ich zu – in ihren Trugbildern bestätigen. Das japanische Geheimnis, nicht wahr?« Er grinste jun-genhaft. »Aber ich sage Ihnen, es gibt kein Geheimnis. Es ist nur eine andere Art, die Dinge zu erfassen.
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