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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ob er sie aufmuntern wollte. Sie antwortete einsilbig. Mein letztes Bild von ihm war an diesem Tag, daß er auf der Schwelle kniete und zusah, wie wir unsere Schuhe anzogen.
    Ich bewunderte die Anmut und Würde seiner Haltung und störte mich daran, daß ich noch an den Formen tüftelte. Ihm lagen diese Formen im Blut, ich mußte sie mir erst aneignen.
    Für mich war die Körpersprache etwas eminent Wichtiges, der Ausgangspunkt meiner Beschäftigung mit dem Tanz. Beim Abschied verneigte Daisuke sich, und jede Spur Fröhlichkeit war wie weggewischt, nur ein von der Sonne erzeugter Schimmer leuchtete in seinen Augen, ein Fünkchen, das mich sekun-denlang an den Glanz einer Träne erinnerte.
    Wir gingen den Weg zurück, den wir gekommen waren. In der Lichtung hallte es von Vogelgezwitscher und hoch oben in den Bäumen schrien die Krähen. Naomi sagte kein Wort; ganz sachte ging sie, hielt die Augen auf die Trittsteine gerichtet.
    Nach ein paar Schritten brach, ich das Schweigen. »Worüber hast du mit deinem Onkel gesprochen?« Ich stellte die Frage, obwohl ich die Antwort bereits kannte. Und beim Anblick ihres Gesichtes, das sich unter der Wirkung des Kummers zusammenzog, empfand ich leise, zusehends, eine steigende Unruhe und Schmerz.
    »Über Keita«, antwortete sie, mit ruhig gewordener Stimme.
    »Daisuke fragte nach ihm. Ich sagte, daß ich bald zu ihm nach Tokio gehe.«
    Ich starrte sie an: »Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
    »Es eilte doch nicht.«
    Unter den Bäumen waren die Schatten grün und wäßrig. Ich fröstelte leicht.
    »Weiß er, daß du kommen wirst?«
    »Ja, ich habe es ihm mitgeteilt. Er weist mich ab. Er deutet böse Dinge an, die eintreten werden. Ich weiß, daß er verletzlich ist, und ich möchte etwas für ihn tun. Ich bin überzeugt, daß ich ihn heilen kann.«
    »Was hat dein Onkel dazu gesagt?«
    Diesmal zitterte ihre Unterlippe, und ihre Stimme wurde spürbar rauher.
    »Er hat mir davon abgeraten. Er sagte, wir hätten uns beide auf einen schmalen, gefährlichen Grat begeben. Wir brauchten Zeit, um jeder für sich unsere eigene Welt wiederaufzubauen.
    Und das könnte nur in der Einsamkeit geschehen.«
    Meine Kehle wurde eng.
    »Ja, ich verstehe. Und was nun?«
    Um mir gerade in die Augen zu schauen, hob sie ihren Blick empor, der jetzt eine unbeirrbare Entschlossenheit ausdrückte.
    »Ich will ihn sehen«, sagte sie. »Das Studio überlasse ich dir.
    Die Miete ist bis Ende August bezahlt.«
    »Glaubst du wirklich, daß du ihm helfen kannst?«
    Sie neigte den Kopf und senkte die Augenlider fast völlig.
    »Wir lieben uns, Ruth. Wir lieben uns genug, um den Schmerz zu fühlen, den jeder von uns dem anderen zufügt. Und ich kann ihn nicht länger ertragen.«
    »Du bist wirklich sehr eigensinnig.«
    Sie lächelte traurig.
    »A honto – ja! Aber wenn ich das nicht alles zutiefst empfinden würde, könnte ich dann überhaupt begreifen, was dieser Mann für mich bedeutet? Nach einer Atempause wie dieser, die wir jetzt eben erleben, halte ich sofort wieder alles für möglich… «
    Wir waren wieder vor dem Heiligtum angelangt; einige Rei-segruppen standen jetzt auf dem Platz, Japaner zumeist: Frauen und Männer älteren Jahrgangs, mit Schirmmützen und umgehängten Taschen, die sich mit lebhaften, höflichen Verbeugungen gegenseitig fotografierten. In einem Pavillon verkauften junge Priester kleine Talismane aus Brokat; auch Orakel wurden gezogen. An Bäumen und Büschen hingen weiße, zum Teil zerfetzte Papierstreifen, wie kleine Schneebüschel anzusehen.
    Ich fragte Naomi mit den Augen. Sie gab schnell und zerstreut eine Erklärung:
    »Wenn wir wollen, daß sich ein Wunsch erfüllt, knüpfen wir den Zettel an einen Zweig. Der wachsende Baum trägt den Wunsch zu den Göttern.«
    Ich sah Naomis gespanntes Profil. Ihr Ausdruck war schwer zu deuten. Auf einmal gehörte sie völlig dem an, was sie umgab. In einer Art erregter Geistesabwesenheit zog sie einen Geldschein hervor. Eine der Priesterinnen reichte ihr einen Zylinder aus dunkelpoliertem Holz. Naomi schüttelte und drehte den Zylinder mit beiden Händen. Unten befand sich eine Öffnung. Ein kleines Holzstäbchen, mit einer Ziffer versehen, fiel heraus. Naomi gab es der Priesterin, die aufstand und aus einem Schrank mit zahlreichen kleinen Regalfächern einen Papierstreifen brachte. Naomi faltete das Orakel auseinander.
    Meine Anwesenheit schien sie vergessen zu haben. Ich sah zu, wie sie las. Ihr Gesicht war ruhig und glatt, aber

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