Seidentanz
Licht auf. Aiko sah, wie ich die Blume betrachtete, und nickte mir lächelnd zu. Sie duftete nach einem sehr eleganten französischen Parfüm.
»Die letzte Schwertlilie unseres Gartens.«
Ich lächelte zurück. »Irisblüten sind die Lieblingsblumen meiner Mutter.«
Ihr dunkler Blick leuchtete voller Herzlichkeit. »Auch die meinen. Wenn sie welken, ist der Frühling vorbei. So schade, nicht wahr?«
Sie entschuldigte sich, verließ den Raum. Auf der Veranda wurden Schritte und Stimmen laut; man vernahm das Schleifen der Schiebetüren, gefolgt von einem leichten Knall, wenn die Türen wieder zurückglitten. In einem der Nebenzimmer hatten sich Leute versammelt. Durch die dünnen Wände aus Holz und Reispapier hörten wir sie sprechen und lachen. Inzwischen kam Aiko zurück, in der Hand ein Lacktablett. Grüner Tee dampfte in zwei schönen Schalen. Sie stellte winzige Teller vor uns mit kleinen Süßigkeiten, in Form von Blüten und Blättern, rosa und smaragdgrün. Sie schienen wie für Kinder gemacht und schmeckten nach Himbeer und Engelwurz. Jetzt hörten wir auf der Veranda rasche Schritte herankommen. Ein Mann stand auf der Schwelle. Auf den ersten Blick erkannte ich in ihm den Priester, den ich im Garten gesehen hatte. Er trug ein weißes, weitärmeliges Gewand, darüber eine marineblaue Hakatna und ebenfalls weiße Tabi- Füßlinge. Seine Verbeugung war kurz, energisch und stramm. Er hielt die Hände an die Oberschenkel und beugte sich steif aus der Hüfte nach vorn, bevor er sich ebenso schnell wieder aufrichtete. Wie ein Tänzer nahm er sofort den Raum in Besitz, machtvoll und mit vollendeter Eleganz. Ich spürte seine Gegenwart wie einen Pulsschlag, der sich auf den meinen übertrug. Sagon Mori war mittelgroß, stämmig und sogar schwerfällig. Gleichwohl machte er einen stattlichen Eindruck, weil seine körperliche Fülle die Schnelligkeit und Geschmeidigkeit seiner Bewegungen in keiner Weise behinderte. Aus der festen Substanz seiner Muskeln strömte eine jugendliche Kraft, obwohl sein Haar an den Schläfen bereits ergraut war. Die Haut war mattbraun, elastisch, die Stirn sehr hoch, die Augen leicht vorgewölbt und glänzend. Der Mund hatte üppige, weit geschwungene Lippen, mit einem Zug von Wohlwollen und Spott. Er betrat mit zwei schweren Schritten den Raum, fing die Lebhaftigkeit seines Schwunges mühelos ab und kniete am Tischende nieder, wobei er den Hosenrock zwischen seinen Knien leicht zusammenraffte. Mir schien die Atmosphäre im Raum plötzlich dichter, als ob sie vor Spannung und Kraft nur so vibrierte. Und doch schien dieser Mann völlig unbefangen.
»Es tut mir leid«, sagte er auf englisch. »Ich bin aufgehalten worden. Priester werden zu jeder Tages- und Nachtzeit aufgehalten. Ich will damit nicht sagen, daß sie der Heiligkeit zustreben; sie sind einfach geduldig. Und manchmal auch nicht.«
Er sprach nachlässig und amüsiert. Seine Stimme war wohlklingend, tief im Ton, mit einer heiseren Aussprache, die zu seiner Erscheinung paßte. Nachdem ihm Naomi gesagt hatte, wer ich war, lehnte er sich bequem zurück und betrachtete mich in aller Ruhe. Dabei verbarg er die Hände in den Ärmeln seines Gewandes und massierte seine nackten Arme, was ein kratzendes Geräusch verursachte.
»Soviel ich weiß, haben Sie Kumano-San sehr beeindruckt.
Da ich ein neugieriger Mensch bin, war ich sehr gespannt auf Sie.«
»Hoffentlich sind Sie nicht enttäuscht«, entgegnete ich.
Er blinzelte verschmitzt.
»Noch nicht.«
Aiko stellte eine Schale Tee vor ihn. Der Hauch ihres Parfüms wehte zu uns herüber. Sagon warf die Ärmel zurück, hob die Schale mit beiden Händen und nahm sehr laut einen Schluck. Dann wandte er sich Naomi zu, stellte ihr einige Fragen auf japanisch; die dunklen Augen, die scherzhaftherzliche Art, gewisse tiefe Schwingungen in seiner Stimme zeugten von warmherziger Teilnahme. Sie sprach ziemlich lange. Soviel ich verstand, berichtete sie von ihrem Aufenthalt in Europa und von den Gastspielen. Der Priester und seine Frau lauschten aufmerksam, nickten eifrig, stießen Laute in den verschiedenen Abstufungen von Überraschung und Anerkennung aus. Als eine Pause im Gespräch eintrat, nickte Sagon mir feierlich zu, als bitte er mich um Nachsicht.
»Sie hat einen dicken Schädel, Ruth-San. Ich wollte sie nicht als Schülerin. Sie hatte zwar den richtigen Vorsatz, brachte jedoch nicht das richtige Bemühen auf. Traurig.«
Naomi senkte mit gespielter Verlegenheit die Augen, und Aiko
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