Seidentanz
Straße streckte Naomi die Hand aus. Sie zeigte nicht mit dem Finger, wie eine Europäerin es tun würde, sondern mit der offenen Hand.
»Da sind wir schon!«
Das weiße Haus mit dem hellen Ziegeldach zeigte ein betontes Zusammenspiel aus altem Empfinden und neuzeitlicher Statik, eine Mischung aus klotzigem Grundriß und schwungvoller Fragilität. Ein paar Wagen und eine große Anzahl Fahrräder standen auf einem Parkplatz. Andere Autos kamen, Wagentüren schlugen zu, Kinder hüpften voller Ungeduld; buntge-kleidete, quirlige Persönchen, mit Seidenhaar und cremefarbe-nem Teint. Auf dem Rasen, vor dem Eingang, ruhte ein Fels-block mit drei eingemeißelten Schriftzeichen, vor dem ich kurz haltmachte.
»Was steht da?«
»Onjôkan – das Haus der Lieder und Klänge«, übersetzte Naomi.
Wir betraten eine mit hellen Fliesen ausgelegte Halle.
Pfingstrosen und weißer Flieder standen in einer jadegrünen Keramikvase.
Der Strom der Besucher riß uns mit sich, ein paar Steinstufen hinunter. Kinder drängten sich zwischen den Erwachsenen hindurch. Auf rot und schwarz lackierten Bänken saßen ältere Leute, tranken Tee, fächelten sich Kühle zu, hüteten Babys. Sie lächelten heiter, neigten den Kopf zum Gruß. Wir gingen einen Flur entlang, dem Lärm und Gelächter entgegen, das aus dem hinteren Teil des Gebäudes schallte, wo der Boden mit Binsenmatten bedeckt war. Ich lachte über die riesige Zahl von Kinderschuhen, die dort in größter Unordnung lagen. Für die Besucher standen die üblichen Pantoffeln zur Verfügung. Die Vorhalle führte in eine Anzahl weiterer Räume, alle mit Matten ausgelegt. Sie waren groß und doch zu klein für die Zahl der Besucher. Erwachsene und Kinder, Jugendliche und Großeltern umringten lange Tische voller Spielsachen aus Stoff, Holz, Pappmache oder buntbemalten Steinchen. Die Kinder drängten, hüpften und schubsten, um besser zu sehen, während sich die älteren Leute still zufrieden und geduldig an den Tischen ent-langschoben.
»Das Spielzeug haben die Schüler gebastelt«, rief Naomi mir durch den Lärmpegel zu. Wir kamen nur langsam vorwärts. Die Kleinen schwatzten wie ein Vogelschwarm, liefen begeistert von einem Spielzeug zum anderen. Einige warfen sich kleine, bunte Stoffbälle zu, sagten mit dünner, fröhlicher Stimme Rei-me dazu auf. Andere beobachteten ein Mäuschen aus Holz, das, von einer Schnur gezogen, flink eine hölzerne Leiter hinauf-kletterte. Ein Junge brachte einen Holzkreisel in Schwung, indem er um den zylindrischen Teil eine Schnur wickelte und mit scharfem Ruck daran zog. Ein paar kleine Mädchen hielten sich Kaleidoskope vor die Augen, stießen entzückte Rufe aus.
Alle möglichen Mobiles in Form von Tieren, Blumen oder Schmetterlingen bewegten sich im Luftzug. Eine ganze Gruppe Kinder saß auf dem Boden vor einem Schattentheater, in dem gerade gezeigt wurde, wie ein schlaues Äffchen sich vor einem Krokodil rettete. Stimmen, Gelächter und Kreischen bildeten ein vielfaches Echo in den Räumen, so daß man sein eigenes Wort nicht verstand.
In einem anderen Zimmer waren die Kinder beim Basteln.
Junge Frauen und auch einige junge Männer, alle in Jeans und weißem T-Shirt, halfen beim Kleben, Falten, Zimmern und Modellieren. Inzwischen hatten ein paar Frauen Naomi erkannt, winkten ihr lebhaft zu, verbeugten sich zwanglos, umringten sie mit Rufen und Gelächter. Ich stand etwas abseits, lächelnd, ließ die Blicke umherwandern. Eine Tür führte nach draußen, in den Garten. Eltern saßen im Schatten der Büsche, während die Kinder herumtollten. Einige hielten ein Stäbchen in der Hand, ließen eine Kugel mit einer Öffnung hüpfen. Beide Teile waren mit einer Schnur miteinander verbunden. Die Kinder schleuder-ten die Kugel in die Luft, fingen sie geschickt wieder auf, so daß die Kugelöffnung fest auf dem Stäbchen landete. Zwei Mädchen schwangen ein Sprungseil, wobei sie große Kreise schlugen, so daß drei oder vier Mädchen gleichzeitig springen konnten. Sie sangen dabei eine fröhliche, beschwingte Weise.
Ihre Stimmen waren erstaunlich geschult, völlig im Takt. Der Rhythmus rief mir meine eigene Kindheit in Erinnerung; ich entsann mich an ein Seilhüpfen, daß ich in Israel gespielt hatte.
Auf einmal erwachte in mir der Wunsch, an der Freude dieser Kinder teilzuhaben und ihnen vielleicht auch etwas von mir zu geben. Es war dieses Bedürfnis, was mich nach draußen treten, meine Pantoffeln von den Fügen streifen ließ. Barfuß trat ich auf
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