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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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aufgewirbelt hatte. Darin beschuldigte sie die Spielzeugindustrie, Aggressionen zu schüren und die Kinder auf ungesunde Weise anzupassen. Das hatte ihr bereits zwei Prozesse eingebracht. Aber Chiyo Sakamotos Anliegen, kindliche Aggressionen in Kreativität umzuwandeln, wurde von den Eltern und den mächtigen japanischen Frauenverbänden unterstützt.
    Ihr Schulprojekt fand in Fachkreisen solchen Anklang, daß die Kinder auf eine Warteliste kamen. Schulen nach diesem Muster waren bereits in anderen Städten gegründet worden. Sakamoto hatte in Archiven gestöbert, aus der japanischen Spieltradition alte Spiele, Gesänge und Kinderreigen herausgekramt. Großeltern, die sich noch an diese Spiele erinnerten, wurden eingela-den, sie den Kleinen beizubringen. Erzieher und Kindergärtner opferten ihre Freizeit, um mit den Kindern alle möglichen Spielzeuge nach alten Vorlagen zu basteln. Auch wurden Musik, Tanz und kindgerechtes Theater intensiv gefördert. Das interessierte mich, und so fuhren wir also nach Nara. Am Samstag war Ruhetag, die Büros waren geschlossen. Im Zug fanden wir sofort einen Sitzplatz. Alte Männer mit eingesunkenen Zügen, zumeist kleingewachsen, trafen sich zum Pferderennen.
    Hausfrauen unterhielten sich leise, Großmütter trugen schlafende kleine Kinder auf den Rücken. Daneben standen lebhafte Mädchen und Jungen mit schönem schwarzem Haar, alle nach dem letzten Modetrend gekleidet, alle ungeniert schwatzend und aus vollem Hals lachend. Ich beobachtete diesen Kontrast, der mir nicht fremd war. Auch in Israel hatte ich das erlebt, diesen Unterschied zwischen der Bescheidenheit einer entbeh-rungsgewohnten älteren Generation und der kraftvollen Selbstbehauptung der Jugend.
    Hinter den Fenstern zogen Vororte vorbei, kastenartige kleine Häuser aus Holz oder Eisenblech, dichtgedrängte Mietska-sernen, Autoschlangen, Parkhäuser, Brücken auf Betonpfeilern.
    Der Zug schepperte auf einer Eisenbrücke über einen breiten, wasserarmen Fluß; Männer beim Fischen bewegten behutsam ihre langen, dünnen Angelruten. Dann wurde das Land flach und grün, in den bräunlichen Flächen der Reisfelder spiegelte sich der Himmel. Die dünnen Schößlinge blitzten im Wasser wie kleine Messer. Zu beiden Seiten der Bahnlinie dehnte sich die Yamato-Ebene aus, gleißend im Licht. Hier und da erhoben sich bewaldete Hügel, ebenmäßig geformt wie grüne Kissen. Es war eine geheimnisvolle Landschaft, herb und kräftig. Die Reise war nur kurz; schon bald ging die Weite der Landschaft in die Randbezirke der Stadt über. Bald drosselte der Zug seine Geschwindigkeit, der Schaffner kündigte den Bahnhof von Nara an. Wir stiegen aus, bewegten uns im Gedränge auf den Hauptausgang zu. Der Bahnhof war klein, unmodern und nahezu ländlich. Wir gingen über eine Hauptstraße, dann durch eine Einkaufspassage mit allen möglichen Boutiquen, Bars, Restaurants, und erreichten nach ein paar Minuten ein Städtchen wie aus einem Bilderbuch.
    Ein schieres Wunder! Ein Ort außerhalb der Hektik, ein Stück Ruhe unter der heißen Frühlingssonne. Die Straßen waren akkurat gepflastert, die Häuser sahen aus wie Puppenhäuser, klein und hell und freundlich. Hinter Toren aus schönem Holz oder Gußeisen leuchteten liebevoll gepflegte Gärtchen mit Büschen und Ziersträuchern. Manchmal war ein Steinblock in den Boden gerammt. Die obere Fläche war ausgehöhlt, damit sich das Regenwasser darin ansammelte. Bambusse bewegten sich im Wind mit seidenweichem Geräusch. Der Verkehr war gedrosselt; Autos fuhren nur im Schrittempo vorbei. Nur das Klingeln von Fahrrädern brach die Stille. Manchmal wurde hinter einem Holzportal ein karminrot gefärbter Schrein oder ein buddhistischer Tempel sichtbar. Über Läden und Boutiquen senkten sich schattenspendende Strohmatten. Mir fielen die merkwürdigen Talismane auf, die an einer Kette vor Haustüren oder Gartentoren hingen: kugelartige Tiersymbole aus verblaß-
    tem Satin, in verschiedener Größe, mit leichtem Klingeln im Wind baumelnd.
    »Was ist das?«
    Naomi zeigte ihr seltenes, fröhliches Lachen.
    »Ach, das sind Glücksäffchen, die Maskottchen von Nara.
    Als Helfer Buddhas ist der Affe bei uns eine segenspendende Figur.«
    Wie nett, hier ein Kind zu sein, dachte ich. Zwischen der Welt der Kinderstube und der Welt der Realitäten klafften zu große Unterschiede. Hier schien die Welt nach den Maßen von Kindern gemacht. Alles war übersichtlich, bunt und verspielt.
    Am Ende einer rechtwinkligen

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