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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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hüpfte und drehte mich nach den Klängen von
    ›Die Nacht auf dem kahlen Berg‹. Das war damals meine Lieb-lingsmusik. Weil sie so dramatisch ist. Meine Mutter war auch Tänzerin. Sie hat mich in die Ballettschule geschickt. Eine Zeitlang war ich in Frankfurt, auf der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst. Dann habe ich einen anderen Weg eingeschlagen.«
    Er schob die Hände in die Jeanstaschen; ein kleiner Rucksack baumelte auf seiner Schulter. Ich fühlte mich wohl neben ihm in der Dunkelheit, umgeben von Tropfen und zersplitterten Lichtern. »Hast du Hunger?« fragte er.
    Ich lachte ihn an.
    »Nach dem Tanzen, da habe ich großen Hunger. Vorher bleibt mir jeder Bissen im Hals stecken.«
    »Magst du Fisch?«
    »Fisch mag ich am liebsten.«
    Er berührte meine Hand.
    »Komm!«
    Gemächlich schlenderten wir weiter. Sobald wir den Garten verlassen hatten, schlug uns der Verkehrslärm entgegen. Im Farbenspiel der Straßenbeleuchtung, der Autoscheinwerfer und Neonlichter sahen wir uns an. Er war so, wie ich ihn in Erinnerung hatte: kaum größer als ich, schlank, aber kräftig. Er lächelte leicht, hatte etwas Seltsames im Gesicht, traurig und heiter zugleich. Etwas, das nicht zusammenpaßte. Es war, so stellte ich fest, ein Gesicht von großer Melancholie.
    In einer Nebenstraße waren noch einige Imbißstuben offen.
    Ich folgte Kunio durch einen winzigen Vorgarten, in dem eine Bambusstaude sanft im Wind knisterte. Ein dreiteiliger Vorhang aus blauer Baumwolle, mit einem großen Schriftzeichen versehen, verdeckte die Schiebetür. Der Eßraum war klein. Für japanische Begriffe war es spät, das Lokal fast leer. Decke und Wände waren aus mattpoliertem Holz. Auf einer Art Estrade, mit den üblichen Tatami – Binsenmatten – ausgelegt, standen niedrige Lacktische. In der Mitte gab es einen mit Fliesen ausgelegten Gang. Dort zogen wir unsere Schuhe aus, bevor wir uns auf den flachen, roten Baumwollkissen niederließen. Kunio setzte sich im Schneidersitz; gelenkig wie ich war, machte es mir nichts aus, nach japanischer Art zu knien; die Stellung fand ich sogar ziemlich bequem. Eine Kellnerin im blauroten Sommerkimono kam mit einem Lacktablett, stellte vor jeden ein Glas Wasser mit Eiswürfeln und zwei kleine, in Zellophan gewickelte Frotteetücher. Wir rissen das Zellophan auf. Ich drückte das heiße Tuch auf mein Gesicht und seufzte voller Wohlbehagen.
    »Ach, herrlich!«
    Er hielt mir die Menükarte hin.
    »Was möchtest du essen?«
    »Was du willst. Du bist hier der Einheimische.«
    Er lachte.

»Etwas Sake dazu?«
    »Gerne.«
    Er ließ die Kellnerin kommen, gab die Bestellung auf. Der Koch machte sich hinter der Theke zu schaffen. Ich fischte die Eisstückchen aus dem Wasser und trank einen Schluck.
    »Bist du öfter in Kyoto?«
    »Ein paarmal in der Woche. Aus Zeitvertreib.«
    »Weil es dir keinen Spaß macht, Geschichte zu lehren?«
    »Weil es mir nicht den geringsten Spaß macht.«
    Die Kellnerin brachte ein Tablett, auf dem ein schön geformtes Kännchen und zwei Keramikschalen standen. Kunio befühl-te das Kännchen, überzeugte sich, daß der Wein die richtige Temperatur hatte und füllte die Schalen. Wir stießen an, sagten Kampai! und lachten.
    »Trinkst du gerne Sake?« fragte er mich.
    »Ich mag Sake. Lieber als Wein. Whisky kann ich überhaupt nicht vertragen.«
    »Ich auch nicht. Wenn ich Whisky trinke, werde ich sofort benommen.« Ich trank den Sake schnell und mit großem Behagen.
    Ich hielt Kunio meine Schale hin. Er füllte nach.
    »Wie kommt es eigentlich«, fragte ich, »daß du Sagon Mori kennst?«
    »Sagons Bruder, der in Nagasaki lebt, wurde von meiner Großmutter in Schönschrift unterrichtet. Sie ist ziemlich bekannt auf diesem Gebiet. Hast du die Kalligraphie im Empfangszimmer gesehen? Die stammt von ihr. Jetzt wohnt sie bei uns, in Miwa, und nimmt keine Schüler mehr an.«
    Das Essen kam. Die Kellnerin stellte zwei Lacktabletts mit verschiedenen Schüsseln und Schälchen auf den Tisch. Ich hob behutsam die Deckel, welche die Speisen in den Schüsseln warm hielten.
    Er sah zu und lächelte mit den Augen.
    »Manche Ausländer sagen, daß unsere Gerichte mehr zum Anschauen als zum Essen sind.«
    »Japaner essen nur rohen Fisch«, ergänzte ich. »Und am liebsten, wenn er giftig ist.«
    »Und schlafen in Kapsel-Hotels, zeigen keine Empfindungen, sind amerikanisiert, firmentreu bis in den Tod und haben jede Tradition verloren. Die ›Yakuza‹ – die Unterweltbosse –
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