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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Schule zu gehen.«
    Er brach in leises Lachen aus. Er schien über Dinge zu lachen, die weit zurücklagen und ihn persönlich angingen.
    »Ich kenne das. Man kann sich alles selbst beibringen, ne?«
    Er gebrauchte den familiären Ausdruck für »nicht wahr«.
    »Absolut«, erwiderte ich.
    »Deine Lehrer… hast du sie überfordert?«
    »Zur Verzweiflung gebracht. Oder zur Weißglut. Meine Eltern schickten mich in diese Privatschule, wo die Kinder individuell gefördert wurden. Dort machte ich mit, irgendwie.«
    Er nickte.
    »Wie du haßte ich es, zur Schule zu gehen. Wie du wurde ich gezwungen, in den Unterricht zu gehen. Wie du habe ich meine Lehrer zur Weißglut gebracht.«
    »Aber japanische Kinder sind gehorsam. Und diszipliniert.
    Das sagt man doch, oder?«
    Er warf sein schönes schwarzes Haar aus der Stirn.
    »Ich machte wertvolle Erfahrungen, bloß nicht in der Schule.
    Ich hatte nicht den geringsten guten Willen, ich muß es zugeben. Meine Mutter war zornig und strafte mich. Aber dadurch änderte sich nichts. Ich war sehr beharrlich.«
    »Schlug sie dich?«
    »Nur, wenn ich es wirklich verdient hatte, aber nie sehr fest.
    Ich war stark genug, davonzulaufen. Und mich danach wieder zurückzuholen, das ging nicht mehr… «
    Er stockte, seine Augen zogen sich leicht zusammen. Ich schwieg. Ich dachte an das, was Naomi mir gesagt hatte und besonders an das, was sie mir nicht hatte sagen können.
    »Und dein Vater?«
    »Er ließ mich gewähren. Es war seltsam; er hat nie versucht, mich anders zu machen, als ich war. Er ist der sanfteste Mann, den ich jemals gekannt habe. Wenn ich ihn so ansehe, jetzt, da er krank ist, zeigt sich diese Empfindsamkeit auf seinem Gesicht. Aber er liebte andere Dinge. Er liebte sie mit einer be-ständigen Hingabe, die mich veranlaßte, auf ihn böse zu sein.
    Ich nehme an, daß ich eifersüchtig war. Grundlos eifersüchtig, wie Kinder es sein können. Erst später habe ich begonnen, ihn zu verstehen. Und jetzt glaube ich, daß ich ihn ziemlich gut verstehe.«
    »Dein Vater ist Schwertschmied, nicht wahr? Ein ungewöhnlicher Beruf! «
    Er schien nicht erstaunt, daß ich es wußte, sondern nickte nur.
    »Ich kann mich an manche Dinge schlecht gewöhnen. Zum Beispiel daran, daß ich der Sohn eines Schwertschmiedes bin.
    Mein Vater gehört zu den Handwerkern, die vom Staat finanziell unterstützt werden. Von dieser Sorte gibt es nicht einmal mehr fünfzig. Die meisten sind jetzt zwischen siebzig und achtzig, wie mein Vater. Merkwürdig, nicht wahr?«
    »Und irgendwie bewundernswert.«
    »Irgendwie bewundernswert, ja. Überall, wo ich hinkomme, höre ich, ach, sind Sie der Sohn von Kunihiko Harada? Das ist kein Vergnügen, wirklich nicht. Das ist eine verdammte Bür-de.«
    »Weil alle von dir erwarten, daß du wie dein Vater wirst?«
    »Die bloße Vorstellung davon verursacht mir Magenkrämp-fe. Ich nehme an, man genießt es, Anerkennung zu finden, bewundert, beneidet und nachgeahmt zu werden. Dazu muß man naiv oder passiv veranlagt sein. Oder weltfremd, wie mein Vater. Der bleibt sich treu. Unerschütterlich.«
    »Was ist er für ein Mensch?«
    »Sein Vater war Schwertschmied, und davor sein eigener Vater und auch seine Vorfahren. Seit achthundert Jahren. Er hat sein Leben und sein Werk, im Grunde alles, diesem Bewußtsein geopfert. Wir sind eine Dynastie. Und wenn ich denke, wie die Zeit dahinfließt, wie die Erde weitergeht, von Jahreszeit zu Jahreszeit, und wenn ich um die lange Kette meiner Vorfahren weiß, dann kommt mir dieser Gedanke eigentümlich vor.«
    »Ich finde ihn schön.«
    Er lächelte. Ich lächelte zurück; zwischen uns war Begehren im Spiel, das vergaßen wir beide nicht, keinen Atemzug lang.
    »Die Fäden, die meinen Vater mit der Vergangenheit verbinden, sind stark. Ich kann nicht genau sagen, wann ich dieses Gefühl verloren habe. Es geschah so nach und nach, als ich erwachsen wurde, zwangsläufig, als ich ins Ausland ging. Eine Zeitlang war meine Großmutter, die oft zu Besuch kam, der einzige Mensch, der etwas mit mir anfangen konnte. Sie sagte zum Beispiel: ›Kunio-chan, komm, erzähl mir, was du heute gesehen hast.‹ Und ich sagte zu ihr: ›Obaa-chan, ich habe einen Grashalm beobachtet. Und von diesem Grashalm aus habe ich über alle anderen Pflanzen nachgedacht, und dann über die vier Jahreszeiten und die ganze Landschaft. Und über die Tiere und zum Schluß über die Menschen.‹
    ›So, so‹, sagte meine Großmutter, ›und was hast du dabei

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