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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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die Wirtschaft, sie verkaufen zu viele Autos, ihr Schulsystem ist mörderisch, und sie wollen die Welt beherrschen. Habe ich etwas vergessen?«
    »Die Frauen.«
    »Ach so, natürlich, die Frauen! Also, die Frauen haben in diesem Land nichts zu sagen. «
    »Ich fühle mich entsetzlich benachteiligt.«
    »Die Japanerin ist eine bedauernswerte Sklavin, das weiß jeder Gaijin – Ausländer. Das merkst du doch auch, oder?«
    »Auf Schritt und Tritt.«
    »Klischees sind beharrlich.«
    »Und bequem noch dazu. «
    »Sie halten sich, weil wir nicht laut genug protestieren. Wir neigen dazu, unsere eigenen Anschauungen für uns zu behalten.
    Wir wollen andere nicht beleidigen und pflegen lieber die hohe Kunst der Unklarheit, was mitunter ein großer Fehler sein kann.«
    »Kommt es nie vor, daß du laut protestierst?«
    »Es hat eine Zeit gegeben, da schrie ich durch ein Mega-phon.«
    Auf einer flachen Schale aus Steingut lagen knusprige Fisch-filets. Die braune Sauce duftete nach Karamel.
    »Das sieht mir nicht nach rohem Fisch aus«, meinte ich.
    »Und giftig scheint er auch nicht zu sein.«
    »Das ist Unagi no kabayaki – gegrillter Aal. Er ist besonders nahrhaft und kräftigend… also gut für dich! Probier mal!«
    Ich zog meine Stäbchen aus der Papierhülle, löste ein Stückchen des weißen Fleisches und der braunen Kruste und probierte. Der Aal schmolz auf der Zunge, weich und duftend. Es schien mir das Köstlichste, was ich je gegessen hatte. Ich sagte es Kunio, der zufrieden nickte.
    »Eigentlich beginnt die Aal-Saison erst im Sommer, aber dieses Lokal ist für seine gute Zubereitung bekannt. Der Aal wird mit Sojasauce und Kandiszucker angerichtet und mit Bergpfefferpulver bestreut. Und es kommt auch darauf an, wie der Reis gekocht wird. Er muß seinen eigentlichen Geschmack behalten.«
    »Ich mag japanischen Reis.«
    »Wir essen auch Nudeln«, sagte er amüsiert. »In Miwa, meinem Heimatort, wird eine besondere Nudelsorte hergestellt.
    Ursprünglich wurde sie für die Wanderer zubereitet, die den alten Pilgerweg Yamanobe no michi – den Pfad am Bergrand –
    besuchten. Naomis Vater hatte eine solche Nudelfabrik.«
    »Ja, ich weiß. Sie hat es mir erzählt. Ich mag auch Nudeln«, antwortete ich, lehnte mich zurück und brach in Lachen aus.
    »Ach, Kunio, ich glaube, ich hab zuviel Sake getrunken.
    Warum reden wir eigentlich nur über das Essen? «
    Er zwinkerte mit beiden Augen fast gleichzeitig.
    »Das ist ein Thema wie jedes andere. Worüber reden eine Frau und ein Mann, die sich gerade erst kennengelernt haben?«
    »Über Politik, zum Beispiel?«
    »Ja, darüber kann man auch reden.«
    Er hob das Kännchen. Ich hielt ihm die Schale mit beiden Händen entgegen. Ich hatte beobachtet, wie man das in Japan machte: Die Geste war so schön.
    »Nein, Kunio! Nicht zuviel! Bist du politisch tätig?«
    »Als Student war ich es ein wenig. Eine Zeitlang.«
    »Und jetzt nicht mehr?«
    »Ich habe die üblichen Fragen gestellt. Und die üblichen Antworten erhalten. Und jetzt blicke ich durch und frage nicht mehr. Ich will weder manipuliert werden noch andere Menschen unter Kontrolle bringen. Ich bin nicht dafür gemacht.«
    »Wozu, glaubst du, bist du gemacht?«
    Er stützte das Kinn in die Hand. Eine Haarsträhne fiel ihm über die Augen. Seine Stimme klang plötzlich belegt.
    »Ich habe eine sehr deutliche Vorstellung von dem, was von mir verlangt wird. Und bringe nicht die geringste Bereitschaft dafür auf, es zu tun.«
    Der Sake machte mich locker und gelöst.
    »Wenn wir nicht mehr über Politik reden, dann vielleicht über Gefühle?«
    »Du weißt doch, Japaner reden nicht über Gefühle.«
    »Du könntest vielleicht eine Ausnahme machen?«
    Er seufzte.
    »Über Gefühle zu reden ist noch schwieriger als über das Leben im allgemeinen. Man muß einen besonderen Grund dazu haben.«
    »Haben wir einen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich bin etwas durcheinander. Sag, wie lange bleibst du in Japan?«
    »Im Oktober ist das Schreinfest. Weiter denke ich nicht. Und wie steht es mit dir?«
    »Im Onjôkan arbeite ich nur als Volontär. Ich bin in einer Gakushû-Juku, einer Nachhilfeschule, angestellt. Das sind Privatschulen für den Zusatzunterricht. Das gestreßte Schüler-leben, du weißt schon.«
    »Als Schülerin mußte ich auch auf eine Privatschule.«
    »Warum?«
    »Ich konnte schon mit vier lesen und schreiben. Im Unterricht langweilte ich mich zu Tode. Ich weigerte mich nicht, etwas zu lernen. Ich weigerte mich bloß, zur

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