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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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unbekannten, drohenden Sprache. Ich blinzelte leicht. Auch jetzt kehrte der Schauder wieder.
    »Die Partie des Ranryô-ô«, fuhr der Priester fort, »ist die auffallendste und eleganteste unseres Repertoires. Du wirst diese Rolle übernehmen, die Bühne maskiert betreten und spä-
    ter, beim Tanz, dein nacktes Gesicht zeigen. Diese Widersprüchlichkeit kommt deiner doppelten Natur entgegen. Die Zuschauer werden in der Lage sein, über die Gestalt des Königs nachzudenken. Dein Tanz wird die Herzen treffen. Du wirst die Erde wecken. Das wird von dir viel Kraft verlangen.«
    Ich nickte, den Blick auf die Maske gerichtet. Ich konnte sie nicht beherrschen, wie man ein Spielzeug beherrscht. Gewisse Masken lassen das zu, diese nicht. Sie weckte in mir ein tiefes Unbehagen, gemischt mit einem Adrenalinschub, der mich zornig und anmaßend machte. Ich hatte das Ganze begriffen, mit den Einzelheiten würde ich mich später befassen. Ziemlich sicher würde es zu einem Kampf kommen. Also gut. Du wirst die Erde wecken, hatte der Priester gesagt. Diesen Satz würde ich mir merken müssen. Er hatte eine ganz besondere Bedeutung.
    Langsam, ehrfurchtsvoll legte Sagon die Maske in ihre Holz-schachtel zurück. Er wickelte sie in das Seidentuch, der Dämon wurde unsichtbar. Doch ein roter Fleck blieb vor meinen Augen zurück, ein paar Atemzüge lang, als ob sein Gespenst in der Luft hing und nur langsam verblaßte. Inzwischen legte Sagon den Deckel auf die Schachtel, knotete die Seidenschnur zusammen und formte mit ein paar geschickten Griffen seiner gelenkigen Finger die gleiche Schlinge.
    Dann hob er die Augen.
    »Du lernst schnell. Aber wir haben wenig Zeit. Das Fest findet im Oktober statt. Ich werde viel Kraft von dir fordern.«
    »Ich habe nie gedacht, das es einfach sein würde«, erwiderte ich. »Und ich werde auch nie sagen, nein, das kann ich nicht.«
    Er lächelte auf einmal, aufgeräumt und herzlich, und bezog mich mit in sein Lächeln ein.
    »Natürlich nicht, Ruth-San. Du hast dein Versprechen gegeben.«
    12. Kapitel
    D ie Bäume und Büsche, undurchdringlich schwarz, trugen den fahlen Schimmer verwelkenden Jasmins; im Gras funkelten Glühkäferchen wie winzige blaue Edelsteine. Die Mauer dämpfte den Lärm der Großstadt, alle Geräusche erklangen richtungslos und fern. Nur Zikaden sirrten in der vom Duft warmer Blumen und stark riechender Kräuter erfüllten Finsternis. Lautlos ging ich über die Trittsteine, setzte schlafwandle-risch einen Fuß vor den anderen. Der kleine Brunnen plätscherte. Auf einmal vernahm ich in der Nähe ein Geräusch, erblickte vor der Schattenwand der Bäume einen Schatten, der noch dunkler war. »Guten Abend, Ruth-San«, sagte die sanfte, kehlige Stimme, die ich sofort erkannte. Mein Herz bekam einen freudigen Stoß.
    »Guten Abend, Kunio-San«, erwiderte ich, ebenso höflich.
    »Wartest du schon lange?«
    »Das macht nichts, ich habe Zeit.«
    Er saß auf den Steinen, am Brunnentrog. Jetzt erhob er sich, trat mir entgegen. Ein dünner Lichtschein fiel auf sein Gesicht.
    Seine Wangenlinie, die Wölbung seiner Schultern wurden plötzlich sichtbar und gleichzeitig der silberne Spalt seiner Augen.
    »Es war leicht, dich wiederzuerkennen«, sagte er.
    Ich lachte glücklich auf.
    »Auch im Dunkeln?«
    »Ich sehe gut im Dunkeln. Und du gehst nicht wie eine Japanerin.«
    »Ach nein?«
    »Nein.«
    Langsam schritten wir nebeneinander her.
    »Japanerinnen drehen die Fußspitzen einwärts. Das kommt von früher. Der eng geschlungene Kimono veranlagte sie da-zu.«
    »Ja, das habe ich beobachtet. Du hast schon recht, ich gehe mit den Zehen nach außen, wie eine Ente.«
    »Wie eine Tänzerin«, verbesserte er. »Nun, wie war’s bei Mori-Sensei?«
    »Anstrengend. Ich hatte noch nie solche Angst.«
    Er kicherte. »Du bist keine Frau, die Angst hat.«
    »Nein. Ich werde den Ranryô-ô tanzen. Zuerst mit der Maske, dann ohne.«
    »Hat er das vorgeschlagen?«
    Ich verzog leicht das Gesicht.
    »Ich hoffe, er weiß, was er tut.«
    »Mori-Sensei versteht jede Interpretation als zeitgemäße Verarbeitung der Tradition. Das ist gut. Wir brauchen solche Leute in Japan. Sonst erschöpft die Form ihr Potential und versteinert. «
    »Ich sehe, du kennst dich aus.«
    »Nein. Ich komme mir albern vor. Ich habe mich eine Zeitlang mit diesen Dingen befaßt. Heute weiß ich nicht mehr genau, warum eigentlich. Ist ja egal. Tanzt du schon lange?«
    »Ich glaube, ich war vier oder fünf, da stand ich schon vor dem Spiegel,

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