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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Gut?«
    »Wunderbar! « seufzte ich.
    »Diese Teesorte wird bei der Tee-Zeremonie verwendet«, sagte Sagon. »Sie vertreibt Müdigkeit, erquickt die Seele und erfrischt den Geist.«
    Er deutete schmunzelnd auf seine Frau.
    »Aiko zog es vor, beim ersten Mal nicht dabeizusein. Sie wollte mich nicht beeinflussen. In Wirklichkeit urteilt sie besser als ich. Sie assistiert mir bei der Regie, ist für Kostüme und Requisiten verantwortlich.«
    Aiko lachte, schüttelte den Kopf und sagte einige Worte. Sagon ließ ein amüsiertes Grunzen hören.
    »Sie sagt, was immer ich tue, ist wohlgetan. Natürlich macht sie sich über mich lustig. Es ist schwierig, mit einer Frau auszukommen, die sich über ihren Mann dauernd lustig macht, glaubst du nicht auch, Ruth-San?«
    Er zwinkerte schalkhaft; sie deutete lachend eine Verbeugung an. Ihre spaßhafte Miene zeugte von gegenseitiger Achtung und tiefem Einverständnis. Ich lächelte sie an; der Tee hatte Wunder gewirkt; meine Müdigkeit war verschwunden; ich fühlte mich voller Kraft.
    Sagon stellte seine Schale behutsam auf das Tablett, forderte mich auf, die Süßigkeit zu kosten. Dann setzte er sich bequem zurecht, legte beide Hände auf die Schenkel.
    »Reden wir, Ruth-San. Ich bin kein Freund langatmiger Er-klärungen, aber einige Dinge müssen gesagt werden. Bugaku –
    wörtlich ›Tanz und Musik‹ – hat seit über 1300 Jahren eine ständige Verfeinerung und Stilisierung durchgemacht. Die Form, die wir heute ausüben, besteht seit dem elften und zwölften Jahrhundert. Die Frage, ob man tanzen und gleichzeitig singen kann, ist in diesem Fall unwichtig. Der Körper findet seine eigene Ausdruckskraft. Für dich wird die Schwierigkeit sein, daß im Bugaku alles kodifiziert ist. Der Tanz preßt dich in eine Form wie in einen Panzer. Ich weiß schon, das liegt dir nicht. Aber persönliche Schöpfungskraft kann uralte Konventionen sprengen. Wir haben einen Ausdruck dafür: Der Tänzer zertrümmert seine Kata – seine Form. Traust du dir das zu?«
    Er ließ eine kurze Pause verstreichen, und sagte dann:
    »Du kannst dir die Sache überlegen.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wozu?«
    »Yoroshii – Gut!« knurrte er.
    Aiko hielt ihre locker verschränkten Hände auf dem Schoß.
    Ihr Gesicht war wunderbar ruhig. Ich konnte in ihren Augen einen hellen, funkelnden Schalk erkennen. Ich merkte plötzlich, daß sie nicht nur meine Zusage erwartet, sondern sogar nicht einen Moment an ihr gezweifelt hatte.
    Der Priester erhob sich; er trat zu den hölzernen Schachteln, die an einer Wand aufgestapelt waren, nahm eine heraus. Es war eine Schachtel aus Weißholz, leicht und kostbar, mit einer violetten Seidenschnur, deren Knoten zu einer besonderen Schlinge geformt war. Er kniete nieder, stellte die Schachtel vor sich hin. Geschickt öffnete er die Kordel, hob den Deckel.
    Seine Hände griffen behutsam hinein, schlugen ein weißes Seidentuch auseinander und hoben eine Maske empor. Mir stockte der Atem, nicht nur, weil sie so schön war: ein Wunderwerk aus dunklem Holz, prachtvoll geschnitzt und vergoldet, mit rotem und schwarzem Lack bemalt. Die Maske zeigte eine furchterregende Kriegerfratze; das bewegliche Kinn hing an seidenen Schnüren, die Augen bestanden aus hervorstehen-den, goldenen Kugeln. Sie bewegten sich mit der Maske, sobald sich diese nach der einen oder anderen Seite neigte. Die Fratze hatte große, flügelförmige Ohren, perückenartiges Haar.
    Der Kopfputz bestand aus einem Greifen mit offenem Schnabel, der seine Krallen in die vergoldete Lockenfrisur rammte.
    Ich wußte nicht, was ich empfand, ob Erregung oder Beklom-menheit, vermutlich eine Mischung aus beidem. Und gleichzeitig war in mir eine Art Zorn, der mich unverfroren machte.
    Mich hatten Abgründe immer angezogen. Sagon hielt die Maske hoch, drehte sie leicht hin und her, damit ich sie besser sehen konnte.
    »Einer unserer Tänze erzählt die Legende des Königs Ranryô-ô. Dieser Herrscher im alten China liebte die Natur, die Musik und die Künste. Doch Feinde bedrohten das Land; der König war genötigt, sein Reich auf dem Schlachtfeld zu verteidigen. Er beherrschte vollendet jede Kriegskunst. Doch seine Seele zeigte sich auf seinem Gesicht, das von fast weiblicher Anmut war. So verbarg er sein Antlitz unter der Maske eines Dämons, versetzte seine Feinde in Schrecken und rettete sein Reich.«
    Ich starrte die Maske an; sie glühte rotgolden, wie in Feuer getaucht. Die beweglichen Augen sprachen zu mir, in einer

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