Seidentanz
meine Mutter nur mäßig oder überhaupt nicht komisch fand. Akemi sagte oft, sie fühlte sich um Jahre, um Jahrhunderte älter als ihre eigene Mutter. Und das stimmt, Hanako ist im Herzen ewig jung geblieben. Ihr Gang, ihre Bewegungen haben etwas aus der Kindheit bewahrt. Und ihr Gesicht wurde nicht im geringsten entstellt.«
Seine Worte glitten auf besondere Art an mir vorbei, als ob ich sie nicht erfaßt hätte. Aber sie wisperten in mir wie ein Echo aus widerhallenden Weiten.
Der Reis war inzwischen fertig gekocht. Kunio wischte die Feuchtigkeit unter dem Deckel ab, damit der abgekühlte Dampf nicht in den Reis tropfte. Er lockerte den Reis mit einem Bam-buslöffel und füllte ihn in die Schälchen. Mir fiel auf, daß er die Tellerchen und Schalen nicht mit Speisen überfüllte; er hantierte geübt mit den Stäbchen, formte Fisch und Gemüse zu einem hübschen Muster und achtete auf die Farben. Alles geschah völlig mühelos, wie aus einem Instinkt heraus. Rasch und geschickt ordnete er Schüsseln und Schalen auf ein Tablett, während ich zwei kleine Flaschen Bier aus dem Eisschrank nahm.
Wir setzten uns an den niedrigen Tisch, beide im Schneidersitz.
Kunio legte die Eßstäbchen parallel zur Tischkante, links dahinter das Reisschälchen, rechts dahinter das Suppenschälchen und mitten auf den Tisch das Hauptgericht. Dann hob er den Blick und grinste wie ein Schuljunge.
»Fertig!«
»Uff!« sagte ich. »Das schaffe ich nie! Zum Glück habe ich bisher immer Leute gefunden, die für mich kochten.«
Er zwinkerte mir zu.
»Auch jetzt wieder.«
Ich füllte unsere Gläser mit Bier. Kunio zeigte mir, wie die Sojasauce in eine kleine Schale gegossen, mit geriebenem Rettich gemischt und mit den Stäbchen umgerührt wurde. Wir hatten beide großen Hunger und aßen mit Appetit.
»Es ist wahr«, stellte ich fest. »Du bist wirklich ein guter Koch.«
»Eine Zeitlang habe ich in einem Restaurant gearbeitet.«
»Deswegen bist du so gut.«
»Oh«, sagte er, »das ist keine so große Sache.«
Wir lachten beide; dann lachte ich nicht mehr und drückte das kühle Glas an meine Wange. Ich zermarterte mir das Gehirn nach der Erinnerung an eine Gefühlsregung, die Kunios Worte ein paar Minuten zuvor in mir ausgelöst hatten.
»Du hast etwas von deiner Großmutter gesagt, Kunio. Was ist mit ihr?«
Sein Gesicht verkrampfte sich leicht.
»Es ist schon lange her.«
»Ein Unfall?«
Er zog bitter die Mundwinkel herab.
»Man kann es so bezeichnen. Sie war neunzehn und jung verheiratet, als die Atombombe Nagasaki zerstörte. Nach der A-Bombe auf Hiroshima wollten die Amerikaner ihre Plutoni-um-Bombe testen, bevor Japan kapitulierte. Hanakos Mutter und die Schwiegereltern kamen ums Leben. Sie selbst wurde auf der ganzen rechten Seite ihres Körpers verbrannt. Die Narben hat sie heute noch.«
Ein Schauer überlief mich. Ich starrte ihn an, wortlos und erschüttert. Kunio trank einen Schluck Bier.
»Hanako spricht selten darüber. Sie sagt, die Schatten der Vergangenheit sollte man ruhen lassen. Sie könnten sonst jene Kraft zerstören, die uns befähigt, zu überleben.«
»Selbstschutz«, sagte ich leise. »Meine Mutter sagt das gleiche, genauso…«
Kunio wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.
»Hanakos Mann überlebte. Aber er wurde nie wieder ganz gesund und starb, bevor ich zur Welt kam. Damals, als die Bombe fiel, erwartete Hanako ihr erstes Kind. Ihr Sohn wurde mit einer Hasenscharte und ohne Augen geboren. Er lebte nur wenige Tage. Man stellte fest, daß sein Gehirn nicht größer als eine Walnuß war. Entschuldige«, setzte er schnell hinzu, »ich sollte das vielleicht nicht erzählen. Aber es war nun einmal so.«
Du meine Güte, dachte ich, was für eine entsetzliche Geschichte.
»Sprich weiter.«
»Vier Jahre später wurde Hanako wieder schwanger. Sie er-wog eine Abtreibung. Doch sie liebte ihren Mann und wollte an das Leben glauben. Und dann kam Akemi, meine Mutter, zur Welt, ein starkes, gesundes Baby. Sie war ein entzückendes Kind, wie ich auf Bildern gesehen habe, und später eine bild-schöne junge Frau. Als mein Vater ihr begegnete und auf einer Liebesheirat bestand, was damals sehr unüblich war, geriet er in heftigen Streit mit seinen Eltern. Man wollte keine Schwiegertochter im Haus, deren Bruder als Monstrum auf die Welt gekommen war.«
Kunio hielt kurz inne, um Atem zu schöpfen. Ich wartete still, bis er weitersprach.
»Mein Vater drohte, mit der Familie zu brechen. Seine Mutter war
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