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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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eine herrische Frau, sehr halsstarrig. Sein Vater Kuni-toshi war intelligenter: Er wußte, daß sich sein Sohn niemals fügen würde. In den schwierigen Jahren der Nachkriegszeit wollte er die Tradition der Harada-Schwertschmiede um jeden Preis erhalten. Sein Sohn war sein einziger Nachfolger. Kuni-toshi gab nach. Mit seiner Frau war es nicht einfach, das muß eine große Aufregung gewesen sein. Aber schließlich fand die Hochzeit statt.«
    »Deine Mutter, wie war sie?« fragte ich.
    Er schloß kurz die Augen und lächelte dann.
    »Sie war schön, Ruth. Ich sage nicht, sie war hübsch oder nett oder anziehend, sie war ganz einfach schön. Ihr Haar, ihr Lächeln, ihr Gang, alles war schön; sie war vierzehn Jahre jünger als ihr Mann. Für sie war es belastend, in eine Familie zu kommen, in der sie nicht erwünscht war. Die Schwiegereltern waren sehr überheblich. Aber Akemi besaß eine ganz besondere Vitalität, eine Art elektrische Kraft. Sie brachte alle dazu, das zu tun, was sie wollte und sogar Freude dabei zu empfinden. Eine Zeitlang versuchten die Schwiegereltern, ihre Autorität zu wahren, wurden aber schnell durch den geheim-nisvollen Einfluß beschwichtigt, den Akemi unbestreitbar auf sie ausübte. Niemand hat je wirklich großen Eindruck auf sie gemacht, nur mein Vater. Sprühend vor Energie übernahm sie gewissenhaft jede Pflicht und das mit so gutem Erfolg, daß sie binnen kurzer Zeit die Schwiegereltern fest um den schlanken kleinen Finger gewickelt hatte.«
    »Das muß für sie eine persönliche Genugtuung gewesen sein.«
    »Sie ließ es sich niemals anmerken. Auch nicht, als sie zwei gesunden Kindern das Leben schenkte und ihr Sieg vollkommen war.« Wir räumten die Schüsseln und Teller zusammen, ich holte die Erdbeeren, die ich inzwischen in den Eisschrank gestellt hatte. Ich sah leicht beunruhigt zu, wie Kunio probierte.
    »Mit Wein, das wäre mir nie in den Sinn gekommen.«
    »Und etwas Zitrone. So machen es die Italiener.«
    »Schmeckt toll!« sagte er. Ich setzte mich zu ihm.
    »Erzähl mir mehr von ihr.«
    Fältchen zeigten sich in seinen Augenwinkeln.
    »Von Akemi? Sie war, denke ich, in ihrer altmodischen Art sehr gerissen.«
    »Was verstehst du unter altmodisch, Kunio?«
    »Nun, sie ließ meinen Vater im Haushalt keinen Finger rühren – angeblich, weil er ihr nichts gründlich genug machte. Sie zeigte sich perfekt im Kochen und Nähen, betreute die Finan-zen und beherrschte ebenso das Blumenstecken und Teeservie-ren. Ausländer konnten dabei den Eindruck gewinnen, daß sie sich der Familie unterwarf. In Wahrheit hielt sie die Zügel fest in der Hand. Sie wurde im Laufe der Jahre mit Haut und Haaren Teil der Familie ihres Mannes. Unser dreifaches Vollmond-Wappen ›Mangetsu‹ wurde in die Seide ihrer Kimonos einge-webt. Dieses Wappen wird an fünf Stellen getragen: je einmal auf den Schultern, zweimal auf der Brust und einmal auf dem Rücken. Bei offiziellen Anlässen erschien Akemi nie anders als in japanischen Gewändern. Ihr Kyoto-Schick war berühmt. Das Fernsehen brachte sogar eine Sendung über sie. Und jeden Morgen kniete sie vor dem Altarschrein, schlug den kleinen Bronzegong und betete zu den Toten.«
    »Das mußt du mir erklären«, sagte ich.
    »Der Altarschrein fehlt in keinem japanischen Haus. Der unsrige ist aus rotem Sandelholz, sehr kostbar. Unter dem kleinen Bronzebuddha und der Ewigen Lampe aus Messing stehen die Fotos der Großeltern und Ur-Großeltern. Der Schrein enthält auch die Täfelchen mit ihren Totennamen in der Sanskrit-sprache. Die Hausfrau füllt jeden Morgen eine kleine Silber-schale mit frischem Wasser – das Symbol der Reinheit – und zündet ein Weihrauchstäbchen an.«
    »Auch heute noch?«
    Er nickte.
    »Ja, mir wurde es beigebracht, die Toten zu ehren. Ich werde es meine Kinder lehren – falls ich eines Tages welche habe.
    Nicht, weil ich aus einer traditionellen Familie komme, nein, das ist es nicht. Ich habe da meine persönlichen Vorstellungen.
    So denke ich zum Beispiel, daß die Einsicht vorheriger Generationen unsere individuelle Erfahrung beeinflußt. Wie das vor sich geht, weiß ich nicht, ich kenne mich in der Physik nicht aus. Aber ich glaube, daß eine Art Kraft in uns wirkt, die von den Vorfahren kommt und in unseren Zellen weiterlebt.«
    Ich antwortete nachdenklich:
    »Meine Mutter sagt, daß wir Glieder einer langen, sehr langen Kette sind. Unsere Vorfahren gehören dazu, ebenso wie unsere Kinder. Sie sagt, unsere Vorstellungen und

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