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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Flüssigkeit. Kunio sagte:
    »Daisuke-San vollzieht die schützende Magie nach bewähr-tem Muster. Er verfügt über eine große Erfahrung. Wir alle tragen Gestalten in uns, und manchmal ragen diese Gestalten ins Licht. Daisuke sieht sie mit geschlossenen Augen.«
    Ich gab ihm das Glas.
    »Die Zeremonie erfolgt mentalsuggestiv, soviel ist mir schon klargeworden. «
    Er trank einen Schluck.
    »Richtig angewendet funktioniert das.«
    »Seitdem könnte ich Bäume ausreißen.«
    Er lachte leise und etwas keuchend.
    »Einstweilen wirkt sich das im Bett aus. Was hat er dir sonst noch gesagt?«
    »Er hat von dir gesprochen.«
    Sein Lachen erlosch; er schaute nachdenklich auf den Grund seines Glases.
    »So?«
    Ich ließ die Augen nicht von ihm.
    »Er hat gesagt, daß du von der Schlange geküßt wurdest.«
    Schweigen. Kunio rührte sich nicht. Ein Lichtschein fiel auf sein Gesicht; er wirkte wie aus Marmor gehauen. Nach einer Weile überlief ihn ein leichter Schauer. Er hob das Glas an die Lippen, nahm einen tiefen Schluck. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. Er sagte mit ruhiger Stimme:
    »Ich habe noch bis Montag Urlaub. Ich werde dir den Ort zeigen.«
    20. Kapitel
    E s war das zweite Mal, daß ich mit der Bahn nach Nara fuhr. Doch der kleine Bahnhof kam mir schon fast vertraut vor.
    Neben Osaka, ja selbst neben Kyoto hatte Nara etwas Kleinstädtisches, nahezu Weltfremdes an sich; selbst die Busse, die Schwärme von Touristen, Einheimischen und Ausländern be-einträchtigten nicht diese Geruhsamkeit.
    »Sie besichtigen die Museen und die Heiligtümer«, sagte Kunio. Er nahm mir die Tasche ab, die ich über der Schulter trug. Wir warteten vor der Ampel, überquerten die Fußgängerstreifen im Strom der Passanten. Die Einkaufspassage war jetzt voller Menschen, doch in knapp fünf Minuten erreichten wir das Viertel »Naramachi« mit seinen engen, gepflegten Straßen, seinen Puppenhäusern, seinen winzigen Konditoreien, in denen man kleine Kuchen, wie Blätter oder Blüten geformt, aus Agar-Agar und Bohnenpaste, essen konnte. In kleinen Gärten standen unter roten Sonnenschirmen Holzbänke, die wie Tische aussa-hen und mit roten Tüchern bedeckt waren. Dort saß man, trank grünen Tee, atmete den frischen Duft der Büsche ein, lauschte auf das Zirpen der Zikaden, das jetzt, nach der Regenzeit, die Luft erfüllte. Ich hatte dieses Viertel auf Anhieb geliebt; es war eine Welt für sich, für friedliche Menschen gebaut. Ein Ort, wo man sich heiter und geborgen fühlte, ohne die Hektik, den Unterton verbissenen Konkurrenzkampfes der Großstadt.
    »Hier wohnst du also«, sagte ich zu Kunio.
    Er schlug mit der Zunge gegen den Gaumen, wie er es manchmal tat, wenn er sich eine Sache überlegte.
    »Tja, man kann es so sagen. Ich habe eine kleine Wohnung gefunden. Die Schule liegt ganz in der Nähe, und der Weg zum Onjôkan dauert keine drei Minuten. Aber mein Vater bildet sich ein, daß ich immer noch zu Hause wohne. Ansichtssache.«
    Wir gingen nach links die Straße entlang; vor den Türen schaukelten die Seidenäffchen wie bunte, verblichene Kugeln im hellen Licht. Als wir um eine Ecke bogen, zeigte Kunio auf ein weißgetünchtes Haus. Er stieß ein Tor aus hellem Holz auf.
    Ein Vorgarten, mit Kies belegt, diente gleichzeitig als Parkplatz für einen kleinen Nissan.
    »Das ist meiner«, sagte Kunio. »Ein Gebrauchtwagen. Aber er fährt.«
    Der Garten schien größer, als er war, weil ihn einzig eine Buchsbaumhecke vom Grundstück des Nachbarn trennte. Kunio benutzte nicht die Haustür, sondern eine kleine Nebentür an der Seite des Hauses.
    »Ich bin hier bloß Untermieter. Das Haus gehört Hiroshi Watanabe, einem emeritierten Professor der philosophischen Fakultät der Universität von Osaka. Er hat in Oxford unterrichtet und schreibt jetzt ein Buch. Seine Frau spielt Baßgeige. Es hört sich entsetzlich an. Aber man gewöhnt sich an alles.«
    Eine Tigerkatze kam zwischen den Töpfen mit Tausend-schönen zum Vorschein. Sie war rundlich, geschmeidig, mit großen grünen Augen. Kunio lächelte, beugte sich zu ihr hinab.
    Die Katze bettete ihr Wange in seine Hand, schnurrte, rieb sich an seinen Beinen. Die Art, wie diese Katze sich von ihm streicheln ließ, hatte etwas außerordentlich Zärtliches an sich.
    »Wie heißt sie?«
    »Tora-chan, kleiner Tiger. Sie gehört dem Professor.«
    Er schloß auf; eine schmale Holztreppe führte in die erste Etage. Auf dem Boden lag eine Fußmatte, ein Regenschirm lehnte an der Wand neben einem

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