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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Vereinzelte Schneeflocken wirbelten durch die Luft. Die Bäume waren kahl, nur ein paar Kakifrüchte hingen an den Zweigen wie kleine rote Lampions. Ich weiß nicht warum, dieser Anblick erfüllte mich mit Wehmut. Das Haus war so, wie ich es in Erinnerung hatte: weiß getüncht, mit einem Dach aus alten blauen Ziegeln und runden Giebelsparren. Daneben stand das alte, derzeit unbewohnte Haus, in dem meine Großeltern ihre letzten Jahre verbracht hatten. Das schmiedeeiserne Tor hatte mein Großvater angefertigt. Die Werkstatt und die beiden kleinen Gebäude, in denen die Gehilfen im Sommer wohnten, befanden sich dem Haus gegenüber. Als das Taxi hielt und ich dem Fahrer sein Geld gab, hörte ich Taro-chan, unseren Akita-Hund, im Haus winseln und bellen. Taro-chan wohnte in der Hundehütte, aber bei Kälte ließ ihn meine Mutter ins Haus. Im Eingang wurde Licht gemacht, die Tür ging auf. Taro-chan zwängte sich durch den Spalt, sprang jaulend und zitternd vor Freude an mir hoch. Er hatte mich sofort erkannt. Ich kniete mich nieder, umarmte ihn. Das Licht fiel nach draußen auf den Schnee, und ich sah die dunklen Gestalten meiner Eltern im hellen Rechteck der Tür. «
    Kunio hob die Kanne, schüttelte sie leicht und goß Tee in die Becher.
    »Ich stand auf, warf meine Tasche über die Schulter, kam langsam auf sie zu. Der Übergang von der gefühlsmäßigen Wahrnehmung zum visuellen Eindruck, als beide vor mir standen, erzeugte bei mir eine Art Panik. Nicht nur, weil beide so gealtert waren, sondern weil ich auf den ersten Blick sah, wie krank meine Mutter war. Eine Wolke von Trauer hüllte mich ein. Der Schmerz war so stark, daß ich mit den Zähnen knirschte. Ich verbeugte mich tief; mein Vater nickte mir zu. Er sagte heiser:
    ›Da bist du ja. Es ist gut, daß du gekommen bist, mein Sohn.‹
    Meine Mutter lächelte, und ich sah Tränen in ihren Augen glitzern. Meine Eltern waren stets sanft und zärtlich gewesen, aber verhalten in Gefühlsäußerungen, wie es der älteren Generation beigebracht worden war. Um so mehr erbebte ich, als meine Mutter plötzlich meine Hand ergriff; eine tastende, unsichere Geste, die mich noch mehr beunruhigte als alles andere.
    Meine Hand war kalt. Es war ja Winter, und ich trug keine Handschuhe. Ich spürte ihre Hand in der meinen, das Fieber, das in ihr brannte. Ein paar Atemzüge lang sahen wir einander ins Gesicht; es war unleugbar, daß sie bald sterben würde. Sie wußte im selben Augenblick, daß ich es bemerkt hatte. Doch sie sagte nur:
    ›Du frierst ja, und du bist sicher hungrig. Komm herein, das Bad ist bereit.‹
    Während ich meine Schuhe auszog, huschte ein Schatten durch den Gang. Eilige Füße schlurften weich über den Holzboden. Eine junge Frau trat atemlos aus einer Tür, warf ihr Haar aus dem erhitzten Gesicht. Ich starrte sie ungläubig an.
    Ich hatte meine Schwester verlassen, als sie die schwarze Uniform der Schülerinnen trug und dicke Waden hatte. Jetzt stand vor mir eine gertenschlanke junge Frau in roten Leggings, die es mit jedem Laufsteg-Modell aufnehmen konnte. Rie begrüßte mich, spöttisch und leichthin. Leichtigkeit war die Eigenschaft, die sie zur Schau trug, wenn sie sich verletzlich fühlte. Aber das erfuhr ich erst später; im ersten Moment befremdete mich ihre offensichtliche Kühle.
    Dann aßen wir zu Abend. Man hatte sich gemerkt, daß ich gern Süßkartoffeln mochte. Meine Mutter hatte sie auf besondere Art zubereitet, in braunem Zucker knusprig gebacken.
    Draußen schneite es; wir hielten die Beine in den Kotatsu, das ist eine unter dem Tisch angebrachte Wärmekiste aus Birkenholz, in der ein elektrischer Ofen brennt. Heute gibt es Zentral-heizung oder eine Klimaanlage, aber in traditionellen Häusern gehört der Kotatsu immer noch zu den unentbehrlichen Aus-stattungen im Eßzimmer. Ich erzählte von den Staaten; spaß-
    hafte Dinge zumeist, die meine Eltern zum Lachen brachten.
    Daß ich geschieden war, hatte ich ihnen bereits in einem Brief mitgeteilt. Die Sache war erledigt und kam nicht mehr zur Sprache. An diesem Abend taten wir so, als ob wir alle sehr glücklich wären; und ich glaube, daß meine Eltern es auch tatsächlich so empfanden. Sie wunderten sich nicht darüber, daß ich in Amerika andere Gewohnheiten angenommen hatte, mich für unsere Begriffe salopp benahm und ihnen ins Wort fiel, wenn sie sprachen. Ich nehme an, daß sie damit gerechnet hatten. Als wir nach der Mahlzeit den heißen, grünen Tee tranken, fragte mich meine

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