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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Mutter, ob ich jetzt endgültig zurückgekommen sei. Ich sagte, ich hätte es jedenfalls getan, früher oder später. Dabei hatte ich nicht einmal das Gefühl, daß ich log.
    Und dann redeten wir über andere Dinge.«
    Er hielt inne und blickte mich an, geistesabwesend. Ich nickte ihm zu.
    »Der Pflaumentee ist gut.«
    Er lächelte.
    »Nicht wahr? Ich wußte doch, daß du ihn magst.«
    »Erzähl weiter«, sagte ich.
    »Wieder in Japan, empfand ich plötzlich kein Verlangen mehr, abzureisen. Dabei wußte ich überhaupt nicht, was ich mit mir anfangen sollte. Irgendwie mußte ich ja zu Geld kommen.
    Durch Zufall erfuhr ich, daß in Nara eine Stelle in einer Nachhilfeschule frei wurde. Ich bewarb mich und bekam die Stelle.
    Mir war klar, daß ich sie mehr meinem Namen als meiner Kompetenz verdankte. Immerhin, es sah so aus, als hätte ich jetzt einen Beruf. Dazu kam die Volontärarbeit im Onjôkan.
    Kindergärtnerinnen gibt es massenweise; aber den heutigen Kenntnissen entsprechend ist die Kindererziehung nicht mehr allein Sache der Frau. Seit gut zwanzig Jahren gibt es in Japan Kindergärtner und Säuglingspfleger. Ich mag Kinder sehr; mit ihnen zu spielen und zu basteln macht mir Freude. Dabei habe ich nie den Eindruck, daß ich meine Zeit verschwende, sondern daß ich etwas dazulerne. Eine Zeitlang war ich – wenn auch nicht glücklich – zumindest zufrieden. Ich fragte mich allerdings, ob ich jemals irgendwo hinpassen würde. Meine Familie glaubte, daß ich stark ausländisch geworden wäre nach acht Jahren in Amerika.«
    »Bist du es nicht geworden?«
    Er lehnte sich zurück, die Hände im Nacken verschränkt.
    »Es ist seltsam, weißt du. Der Mangel an Vergangenheit prägt die Menschen. Aus etwas Vorhandenem läßt sich etwas machen, aus Nichts jedoch läßt sich nichts machen. Das ist mir besonders in Amerika aufgefallen. Die europäischen Einwande-rer kamen nicht in unbesiedeltes Land. Rohe, habgierige Menschen, in sturen Religionsvorstellungen gefangen, fanden eine Kultur vor, die ihnen geistig weit überlegen war, materiell jedoch nicht die geringste Chance hatte: die Kultur der amerikanischen Ur-Einwohner, der Indianer. Diese Kultur wurde ausgelöscht. Achtundvierzig Millionen Tote haben sie auf dem Gewissen, so weit haben wir Japaner es im Zweiten Weltkrieg nicht gebracht. Unsere Grausamkeit wurde verurteilt – mit Recht, denn sie war schrecklich genug. Der Völkermord der Indianer wurde legitimiert. Jedoch eine tiefe, gehässige Feind-seligkeit dringt wie Frost aus der Erde. Ich merkte, wie ich langsam, ganz allmählich, ausgehöhlt wurde. Mein Körper blieb gesund und kräftig, aber meine Seele spürte den boshaften Hauch. Die Indianer waren ein Volk mit starken Seelen. Ihre Totengeister rächen sich. Ihre Rache galt nicht mir; aber meine Harmonie war gestört. Es hat mir, so nach und nach, einen Schrecken eingejagt. Erst in Japan fand ich wieder Frieden. Ich weiß, und daran ist nicht zu rütteln, daß ich von jetzt ab nur hier leben kann. Das mag idiotisch klingen, aber ich muß für etwas leben, das tief in mir eine Bedeutung hat. Und warum sollte ich mich davon abbringen lassen?«
    Ich trank den Pflaumentee, der geschmeidig und duftend meinen Mund füllte.
    »Es ist seltsam, wenn ich dich so reden höre. Auch mir kam es oft vor, als liefen meine Gedanken in alle möglichen Richtungen. Vielleicht lag es nur daran, daß ich ihnen nicht recht folgen konnte. Wenn du jung bist, bildest du dir ein, die Welt auf dem Gewissen zu haben. Du bist schuld, das alles schief-läuft, du theoretisierst. Du glaubst an die politische Lösung eines privaten Problems und merkst, so nach und nach, daß es der größte Witz auf Erden ist. Das kommt dir zuerst sehr schockierend vor. Und allmählich lernst du, über diesen Witz zu lachen. «
    »Im wesentlichen haben wir das gleiche erfahren.«
    »Im wesentlichen, ja. Und beim Tanzen, siehst du, da kam mir die Erkenntnis: Ich kann auf meiner eigenen Ebene etwas tun. Ich kann die Zuschauer bewegen, mit mir zu leiden oder sich zu freuen. Ich kann andere Menschen oder Tiere verkörpern. Ich kann eine Pflanze sein oder ein Stein.«
    Er fuhr leicht zusammen.
    »Ein Stein?« murmelte er.
    Und wieder spürte ich, daß etwas Besonderes in ihm war; daß er eine ganz bestimmte Erfahrung in sich trug, ein Geheimnis.
    »Und was noch?« fragte er.
    »Wenn ich mit Kindern und Behinderten arbeite, dann ver-
    ändere ich die Welt auf meine Art. Das ist etwas, was ich kann, was ich gelernt

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