Seifenblasen kuesst man nicht
»Es reicht, dass du während der Ferien extra so früh aufgestanden bist.«
»Du hast ja nie geantwortet! Warum denn nicht?«
Coralie wischte sich das Wasser aus dem Gesicht und ging voran.« Weil das, was du gesagt hast, mich extrem runtergezogen hat. Ich bin in einem Loch, Laura. Nicht nur wegen dir.«
Da an diesem Tag kein Unterricht mehr auf sie wartete, hatten sie Zeit. Coralie holte am Kiosk neben dem Eingang zwei Becher Tee. Gemeinsam standen sie im Schutz der Unterführung und sahen hinaus auf den pladdernden Regen, während Coralie Laura erzählte, was sie erfahren hatte.
Laura unterbrach nur an strategisch wichtigen Stellen. »Thomas Rumer hat deinen Vater bewusst verladen?«, fragte sie zum Beispiel, als die Stelle kam, in der von René und dem Unfall vor zehn Jahren die Rede war. Und »Asta wollte dich verkuppeln?«, als Coralie auf genau ebendiese schändliche Absicht zu sprechen kam.
Coralie nickte und wollte weiterreden, aber Laura war noch nicht fertig.
»Das glaube ich nicht.«
»Sie hat es quasi zugegeben!«
»Also mal im Ernst. Wenn die alle hier in diesem Viertel so furchtbar eingebildet auf ihre Kohle sind, dann würde Asta doch für ihr Herzenssöhnchen David nicht ausgerechnet eine Zeitungsausträgerin aussuchen.«
»Weil â Idioten? Underdogs?«
»He! Jetzt dreh mir doch nicht auch noch das Wort im Mund herum! Kann es nicht sein, dass sie tatsächlich wollte, dass eure Väter sich wieder vertragen?«
»Was gibtâs denn da zu vertragen? Ich weià jetzt wieder, was damals los war. Wir haben unser Haus verloren. Es wurde zwangsversteigert. Wir mussten vom Land in die Stadt ziehen. Mein Dad hat von morgens bis abends nur geschuftet. Vorher war er schon kaum da gewesen und danach kamen noch die Geldsorgen dazu. Schuld an allem hat dieser Rennzirkus und dieser ganze aberwitzige AutoscheiÃ.«
»Und du hast dir das Ballettröckchen angezogen und wolltest von alldem nichts mehr wissen. Stimmtâs?«
Ãberrascht starrte Coralie ihre Freundin an. »Wie kommst du denn da drauf?«
»Weil ich glaube, dass du nichts so liebst wie Autos und Technik.«
»Da irrst du dich aber.«
»Das ist dein Ding, Coralie. Der Irreversibler â du hast ihn entworfen! WeiÃt du, was er ist? Ein Rennauto fürs Weltall! Du bist so begabt. Du könntest die erste Frau im Fahrerlager werden!«
Laura prustete los. »Die erste in der Vertikalen, meine ich.«
»Das ist doch Quatsch. Ich bin eine Tänzerin! Ich liebe es!«
»Du liebst es. Aber brennst du auch dafür? Würdest du alles dafür tun? Sogar deine besten Freunde verraten? Anderen die Moves stehlen? Rücksichtslos gegen alle und jeden nur deinen eigenen Weg verfolgen?«
»Du meinst Jasmin. Ich bin nicht so.«
»Okay. Ich will dir nichts ausreden. Ich will nur nicht, dass du einen Fehler machst. Ich glaube, du hast dir mit dem Ballett das genaue Gegenteil von Autos, Schmieröl und Testosteron ausgesucht. Deine kleine Flucht, dein Vergessen nach dem groÃen Schock. Du würdest niemals zugeben, dass du in Wirklichkeit viel lieber an Autos rumschrauben würdest.«
»Das ist kompletter, ausgewachsener Blödsinn.«
»Und am allerwenigsten vor deinem Vater, dem du die Schuld an dem ganzen Desaster gibst.«
»Die hat er ja auch!«
Laura zog den Teebeutel aus ihrem Becher und warf ihn in den Gulli. »Dann frag ihn doch mal, warum er das getan hat.«
»Warum?«
Laura grinste. »He, bin ich dein Dad?«
Aus der Unterführung klangen die letzten Worte: »Running over the same old ground, what have we found? The same old fears. Wish you were here â¦Â«
Sie hörten dem Lied und dem Regen zu.
»Ich bin so froh, dass du da bist«, sagte Coralie. »Ich muss nachdenken, aber das hat Zeit bis nach dem Wettbewerb.«
»Hast du jetzt ein Lied für dich?«
Coralie schüttelte den Kopf. »Immer noch nicht. Aber ⦠gerade in dem Moment hatte ich eine Idee. Ich glaube, es hat die ganze Zeit auf mich gewartet. Genau hier.«
Auf den Stufen zu den Bahnsteigen saà der junge Mann und lieà gerade die letzten Töne verklingen.
»Hallo!«, sagte er. Er sah blass aus.
»Hallo«, antwortete Coralie. »Hab dich vermisst.«
Er legte die Gitarre zur Seite und sammelte die paar Münzen ein, die in seinem Hut lagen. »Ich schaff es nicht mehr
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