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Sein anderes Gesicht

Sein anderes Gesicht

Titel: Sein anderes Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Aubert
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jemanden suche, der gerade das Hotel betreten habe. Ich beschreibe ihm Johnny. Er zwinkert mir zu und lächelt mich an, sagt, es gehöre sich nicht, fremden Herren ins Hotel zu folgen. Ich setze mein bezauberndstes Lächeln auf und schlage vor, wir könnten ja abends mal zusammen ein Gläschen trinken gehen; er antwortet mir, er habe jeden Tag um dreiundzwanzig Uhr Dienstschluss. Als sich ein anderer Page zu uns gesellt, nimmt er sogleich eine respektvollere  Haltung an und sagt höflich:
    »Ich denke, es handelt sich um Monsieur Garnier. Sie finden ihn im California Grill.«
    Garnier? Also hatte ich Recht: Belmonte ist nicht sein richtiger Name. Jonathan heißt Garnier. Wie unsere Oper. Jonathan Garnier, das Phantom meiner ganz persönlichen Oper.
    Ich finde den California Grill, hochmodern, großstädtischer Chic in Leder und Metall, Non-Stop-Service, pseudokalifornische, eher teure Spezialitäten. Ein eigenartiger Ort zum Frühstücken.
    Nachdem ich die schwere Glastür aufgestoßen habe, bleibe ich vor einem blauen Absperrungsband stehen. Eine Kellnerin in ebenfalls blauer Uniform eilt mit einer riesigen Speisekarte in der Hand auf mich zu. Zwei Amerikaner kauen angestrengt eine üppige Portion Tacos und unterhalten sich so lautstark, als läge der Rio Grande zwischen ihnen. Ich folge der Kellnerin und versuche, Johnny zu entdecken.
    Affektiert führt sie mich in eine Ecke zu einem Tisch mit Blick aufs Meer. Ich vertiefe mich in die Karte, um schließlich einen starken Kaffee zu bestellen. Sie scheint enttäuscht und versucht mir Brownies anzudrehen, doch ich bleibe standhaft: Bei einem Teller Brownies zu achtzig Franc vergeht mir der Hunger. Hüftschwingend eilt sie davon; sie geht mir auf die Nerven. Am Nachbartisch redet eine magersüchtige, auf der Sonnenbank gegrillte Dame im Gucci-Kostüm auf den leeren Stuhl ihr gegenüber ein.
    »Nein, kannst du dir das vorstellen, mir so etwas zu sagen!«
    Mit wem spricht sie? Ich beuge mich etwas vor und sehe zwei behaarte Ohren und eine schwarze Schnauze. Ein Gremlin?
    »Als hätte sie Michael entdeckt!«, fährt sie mit schriller Stimme fort.
    Der Gremlin, der brav auf seinem Stuhl sitzt, stimmt ihr mit einem vagen Knurren zu.
    Ich beuge mich etwas weiter vor, und dann sehe ich ihn: die schwarzen Augen eines Yorkshireterriers, die auf den Teller seines Frauchens gerichtet sind.
    »Hast du Hunger? Soll ich dir ein Carpaccio bestellen?« Ein kurzes Jaulen. Nächstes Mal nehme ich Axelle mit ihren Inoxhörnern zum Tee hierher mit. Sie entspricht genau dem Stil des Etablissements.
    Ich blicke auf den regenverhangenen Strand. Das Meer wirkt wie ein kalter, grauer See, wie trübes, schmieriges Gelee, das den Sand bedeckt. Das Mädchen kommt zurück, stellt den Kaffee vor mich hin, ohne sich um ein Lächeln zu bemühen. Als ich den Zucker suche, schaue ich auf und sehe ihn.
    Johnny. In einer blauen Jacke mit Goldknöpfen, wie er einer alten Dame mit bläulichem Haar die riesige Speisekarte reicht. Diese Entdeckung trifft mich wie ein Herzschlag. Johnny ist Kellner! Ich muss einen eigenartigen Anblick bieten und mache schnell den Mund wieder zu. Er hat mich nicht gesehen. Er führt die Alte zu einem Tisch, quittiert ihre bissigen Bemerkungen mit einem freundlichen Lächeln, gibt schnell die Bestellung weiter und eilt mit unterwürfiger Miene zu einer Gruppe gestresster Geschäftsleute. Johnny ein Domestik?!
    Oder … Sollte er einen Zwillingsbruder haben? Ich beobachte ihn eine Weile.
    Er gibt sich geschäftig, kompetent und ausgesprochen höflich. Seine hellen, eisigen Augen sind wie verschleiert. Ein leichtes nervöses Zittern durchläuft seine linke Hand, wenn er sie nicht bewegt. O nein! Das ist kein Zwilling, kein Doppelgänger. Er ist es. Der Prinz meiner Nächte ist Kellner im Ambassador. Mein Herr und Meister buckelt vor steinreichem Gesindel, das ihn verachtet. Steckt das Trinkgeld ein und bedankt sich unterwürfig. Am liebsten würde ich schreien: Er hat mir heute Nacht den Arm gebrochen . Ja, dieser Kerl, den ihr nicht einmal wahrnehmt, der große Blonde, der so höflich ist . Er hat mir den Arm gebrochen, weil er nicht will, dass ich ihn liebe. In diesem Augenblick dreht er den Kopf in meine Richtung und sieht mich.
    Er öffnet den Mund, schließt ihn wieder. Auf seinen bleichen Wangen zeichnen sich rote Flecke ab. Dabei beantwortet er ungerührt weiter die Fragen der Geschäftsleute, hilft ihnen aus den Mänteln und trägt diese zur Garderobe. Ich weiß, dass er

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