Sein anderes Gesicht
fort:
»Hier ist nicht der Ort, um sich auszuheulen, und ich bin nicht die Sozialhilfe. Meine Arbeit ist es, mich zu vergewissern, dass du keine Gefahr für die Gesellschaft darstellst.«
»Ich bemühe mich.«
»Ach ja? Indem du in Nuttenbars arbeitest? Dich als Transvestit zur Schau stellst?«
»Die Touristen mögen das.«
»Ich glaube, du verstehst mich nicht richtig, Beaudoin. Ich spreche nicht davon, sich irgendwie durchzuschlagen. Ich spreche davon, sich anzustrengen, sich richtig anzustrengen. Versuche, bis zum nächsten Mal darüber nachzudenken.«
Er erhebt sich und bedeutet mir, das Gespräch sei beendet. Ich drehe mich auf dem Absatz um und öffne die Tür, als er noch kalt hinzufügt:
»Denn wenn du dich nicht für mich anstrengst, werde ich mich auch nicht für dich anstrengen.«
Ohne etwas zu erwidern, schließe ich die Tür. Ich spüre, dass dieser Typ Streit mit mir sucht. Drogenkontrolle und das ganze Zeug. Aber ich gehe nicht zurück ins Gefängnis. Ich werde nicht mehr das Arschloch vom Dienst spielen. Ich werde mich am Riemen reißen. Arbeit finden. Egal, was. Ich muss Linda fragen.
Bei Linda ist Stoßzeit. Pastis-Fans drängen sich um die Theke. Plumpe Witze machen die Runde. Laszlo, der sich inmitten seiner Flaschen zu schaffen macht, erinnert an einen Orchesterchef, der eine unvollendete Symphonie dirigiert. Ich drängele mich in die Küche vor, wo Linda, mit wirrem Haar und einer Schürze um die Taille, ihres Amtes waltet.
Als sie meinen Gips sieht, stößt sie einen entsetzten Schrei aus, und ich erzähle ihr kurz die Treppen-Version. Sie tut so, als würde sie mir glauben.
Zwischen zwei Bestellungen erkläre ich ihr mein Problem mit einem Job, sie fragt, ob ich etwas Ragout will, und schon sitze ich in einer Ecke neben drei Typen von der Telekom, die über das am Abend anstehende Fußballspiel Wetten abschließen. Zwischen richtigen Männern und der feuchten Scheibe eingezwängt, verzehre ich ohne Appetit mein Ragout, kaue die Fleischstücke sorgfältig.
Draußen auf der Straße laufen Leute vorbei und versuchen, den Regentropfen zu entgehen. Ich liebe den Regen, nasses Gras. In der Altstadt gibt es nicht viel Gras, ausgenommen das, was in Zigarettenpapier zu einem Joint gedreht wird.
Die Jungs von der Telekom sehen mich schief von der Seite an. Ich halte mich zu gerade, esse zu manierlich, meine Bewegungen sind zu manieriert. Eine alte Angewohnheit, die ich nicht abzustreifen vermag. Ich schiebe meinen Teller zurück. Im Ambassador muss jetzt auch Hochbetrieb herrschen. Johnny verausgabt sich, läuft ehrerbietig und unterwürfig zwischen den Tischen umher. Jetzt weiß ich, woher seine Wut kommt, die er später an mir und den anderen auslässt. Nachdem er den ganzen Tag über gebuckelt hat, muss der Supermann seine Männlichkeit ausleben!
Allmählich werden die Gäste weniger. Es duftet nach Kaffee und Digestif. Die Kasse klingelt. Wiederholt fällt die Tür ins Schloss. Endlich lässt sich Linda seufzend auf den Stuhl mir gegenüber sinken.
»Du willst also arbeiten?«, fragt sie.
Ich nicke, während ich einen Brotrest zerbrösele.
»Lass das Brot, es hat dir nichts getan. Das Problem ist, dass mir eigentlich nichts einfällt, was du machen könntest.«
»Weil ich aussehe wie eine Verrückte, nicht wahr?«
»Na ja, ehrlich gesagt . siehst du nicht gerade wie ein hart gesottener Kerl aus der Fremdenlegion aus.«
»Oh, aber die mögen mich sehr.«
»Nein, ernsthaft, Bo, du brauchst eine Arbeit, bei der du nicht allzu sehr mit der Öffentlichkeit in Berührung kommst. Eigenartig, dass du gerade heute nachfragst, denn wenn du willst, kann ich dir einen Job als Tellerwäscher anbieten. Ali geht in vierzehn Tagen, er hat endlich eine Stelle als Lagerverwalter im Kaufhaus Galeries Lafayette gefunden.«
Ich überlege einen Augenblick. Tellerwäscher, das hat nicht viel mit Pailletten und Glamour zu tun. Ziemlich weit von dem entfernt, was ich normalerweise mache. Aber mal ernsthaft, es wäre in Lindas Nähe, und ich wäre allein.
»Okay.«
»Was das Gehalt angeht .«
»Ich vertraue dir.«
»Gut. Du fängst um sieben Uhr morgens an und bist um fünfzehn Uhr fertig.«
»Und abends?«
»Abends ist Karim dran. Nutz die Zeit nicht, um Unsinn zu machen.«
»Nur ein bisschen .«
»Glaubst du, dass du deinen Arm in zwei Wochen wieder benutzen kannst?«
»Kein Problem. Und danke …«
»Ja, werd's ausrichten. Kaffee?«
»Kaffee.«
Ich schlürfe einen meiner letzten Espressi
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