Sein anderes Gesicht
richtig eingestellt wärst, wenn du verstehst, was ich meine? Die beiden Hälften deines Kopfes passen irgendwie nicht richtig zusammen.«
»Mir geht's momentan nicht besonders. Eine Freundin von mir ist umgebracht worden.«
»Kenn ich sie?«
»Du hast sie schon mal gesehen. Maeva.«
»Die fette Alte mit den Zierdeckchen?«
»Genau die. Man hat ihr die Kehle durchgeschnitten.«
»Underground City sag ich nur. Es geht bergab!«, ruft sie und schnieft nervös. »Weiß man, wer's war?«
»Noch nicht. Die Polizei glaubt, ich sei's gewesen.«
»Schöne Scheiße. Wusstest du, dass sie Kameras in die Augen von Blinden implantieren wollen? Cybermanmäßig, der totale Wahnsinn.« Ich seufze.
»So was hätte deine Freundin haben sollen, und schon wüsste man, wer der Mörder ist. Weißt du, so was wie ein Flugschreiber! Schade.«
»Du bist echt nett«, sage ich und stehe auf. »Bis bald mal.«
Wieder zurück zu Linda. Ich fühle mich wie eine Kompassnadel. Man könnte glauben, ich brauchte eine Familie. Ich blödele ein bisschen mit Laszlo herum und will mich gerade ein Weilchen in die Sonne setzen, als mir jemand auf die Schulter klopft. Es ist Bull, das Gesicht zu Brei geschlagen. Scheiße, den hatte ich total vergessen! Instinktiv halte ich meinen gesunden Arm vors Gesicht. Doch er deutet auf einen freien Tisch in der Ecke. »Trinken wir ein Glas?«
Obwohl ich mich frage, wann er mir eine reinhauen wird, nicke ich und setze mich. Es freut mich, zu sehen, dass ich ihn so zugerichtet habe. Er bestellt zwei Halbe. Schweigend trinken wir den ersten Schluck.
Dann zündet er sich eine Zigarette an, kratzt sich am Kopf, zieht die Nase hoch und mustert mich aus seinen zugeschwollenen Augen. Ich trinke mein Bier, bereit, ihm bei der ersten verdächtigen Bewegung das Glas auf dem Schädel zu zerschmettern. Schließlich beugt er sich zu mir herüber. Ich kann seinen Atem riechen. Offensichtlich gehört er zu der Sorte Mensch, die Zahnbürsten mit Klobürsten verwechselt.
»Die dicke Nutte, die neulich Nacht getötet wurde, war das deine Freundin, die Tahitianerin?«
Statt einer Antwort kneife ich die Augen zusammen. Seine Stimme klingt dumpf. Kein Wunder, so geschwollen wie seine Lippen sind! Ich frage mich, warum er mich nicht fertig macht. Wieder trinkt er einen Schluck Bier und beugt sich noch weiter vor. So nah, dass ich einen fetten Mitesser auf seinem linken Nasenflügel erkennen kann.
»Weißt du, was?«, fährt er fort. »Das wird nicht aufhören . Sie werden alle sterben, eine nach der anderen …«, murmelt er - fast wie im Rausch.
Seine Glupschaugen haben einen glasigen Schimmer. Hat er irgendwas genommen?
»Eine nach der anderen werden sie geopfert.« Er lässt sich das Wort »geopfert« genüsslich auf der Zunge zergehen wie ein Akademiker, der ein seltenes Wort benutzt. Es überläuft mich heiß und kalt. Und wenn er nun tatsächlich irgendetwas wissen sollte?
»Was willst du damit sagen, Bull? Weißt du, wer sie umgebracht hat, oder was?«
Er plustert sich auf, sein bläulich verfärbtes geschwollenes Gesicht strahlt vor Zufriedenheit.
»Das möchtest du wohl gerne wissen, was, Fräulein Naseweis? Das hättest du wohl gerne, dass Big Bull damit rausrückt, was er weiß .«
Verdammt, was soll das! Gestern Abend habe ich diesem Dreckskerl noch die Fresse poliert, und heute ist er zuckersüß zu mir! Daraus schließe ich, dass er wie einer dieser großen Hunde ist, die vor denen kuschen, die sie schlagen; dass er Kraft bewundert und Angst vor mir hat.
Also beuge ich mich zu ihm hinüber und versuche auszusehen wie Al Pacino in Scarface.
»Hör zu, Bull, entweder hast du mir was zu sagen, oder das alles ist bloß heiße Luft, aber du hast sicher schon bemerkt, dass ich nicht sehr geduldig bin . Ich hab keine Zeit für deine Spielchen.«
Er nimmt einen tiefen Zug und bläst mir den Rauch ins Gesicht. Wir lassen einander nicht aus den Augen. Wie zwei Tiere mit gesträubtem Fell, die Ohren angelegt, sitzen wir uns Zähne fletschend gegenüber. Er zieht den Schwanz ein.
»Ich muss dir was sagen, Bo, alles wird voller Blut sein! Die Bürgersteige werden sich rot färben, du wirst sehen!«
Ich spüre, wie mir der Schweiß auf die Stirn tritt.
»Woher willst du das wissen? Bringst du sie um?«
Er lacht hämisch.
»Ich? Hör mal, du weißt ganz genau, dass ich sanft wie ein Lamm bin. Nein, es ist der große fiese Bock, der sie absticht!«
Er lacht wieder. Will er mich etwa auf den Arm nehmen? Ich
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