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Sein Anteil

Sein Anteil

Titel: Sein Anteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holger Wuchold
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er liegen, für einen Moment.
    Hewitt hatte auf Nikita geschossen! Und Nikita war schwer verletzt! »Komm sofort!« Das war kein Hilferuf, es war ein Befehl gewesen. Willem stand auf. Er wollte sich beeilen. Aber er konnte es nicht. Jede Bewegung strengte ihn an. Wie Blei waren seine Glieder. Er musste sich zwingen.
    Bedächtig, beinahe in Zeitlupentempo folgte er der morgendlichen Routine, Duschen, Zähneputzen, Rasur. Alles fiel ihm schwer. Natürlich musste er zu Pia. Und zu Nikita. Warum hatte Hewitt auf Nikita geschossen? Er würde es erfahren. Willem zog sich langsam an. Was würde ihn bei Pia erwarten? Er wusste es nicht, er wusste nur, dass er zu Pia musste. Neugier, Spannung und eine inhaltslose, unbestimmte Ahnung trieben ihn an.
    Willem wunderte sich selbst über seine äußere Ruhe. Achtsam steuerte er seinen Mercedes durch die noch kaum befahrenen Straßen Londons, hielt an jeder Ampel an, die gelb zeigte. Wollte er seine Ankunft hinauszögern? Er ahnte doch, dass alles, was ihm bevorstand, unvermeidlich war, ganz gleich, wann er sich den Dingen stellte, die da kommen würden, es war unvermeidlich.
    Pia öffnete ihm, ohne sich über die Sprechanlage zu vergewissern, dass er es war. Willem blieb stehen. Die schwere Holztür schlug hinter ihm zu. Erst dann begann er, die steile Treppe hochzusteigen, langsam, vorsichtig, schwer, als müsste er seine Kräfte schonen.
    Pia hockte auf der Couch, rauchte, sagte nichts. Er schaute sich um. Ein Vorhang verdeckte den Blick in das Schlafzimmer. Wieder das Blumenmuster. Dahinter musste Nikita liegen.
    »Setz dich endlich!«, sagte Pia genervt.
    Willem zögerte, wollte nach Nikita fragen, gehorchte dann doch.
    »Nikita schläft«, beantwortete Pia seine unausgesprochene Frage. »Du wirst ihn sehen, später.« Pia richtete sich auf. »Zuerst werde ich dir alles erzählen. Nikita wurde von Hewitt angeschossen. Und Hewitt ist tot.«
    »Hewitt ist tot?«
    »Ja, Hewitt ist tot. Ich habe ihn erschossen.«
    Hewitt ist tot – der Satz trommelte in seinen Ohren. Hewitt ist tot – der Satz raste durch alle seine Glieder. Willem zitterte, versuchte etwas hervorzubringen.
    »Sag nichts! Warte!«, befahl Pia.
    Geschockt fiel Willem in sich zusammen. Er hörte Pias Stimme, mal lauter, mal leiser, mal ganz nah, mal ganz fern. Manchmal verstand er nur einzelne Wörter, manchmal ganze Sätze, die an seinem Ohr vorbeirasten.
    »Wir haben das Mädchen entführt… Am Donnerstagabend… Alles war ganz einfach, wie wir gedacht hatten… Zunächst… Das Mädchen kam gerade aus dem Holland Park… Ich saß am Steuer, Nikita sprang raus… Nikita packte das Mädchen einfach unter seinen Arm… Es strampelte und schrie… Nikita gelang es, das Mädchen auf der Fahrt zu beruhigen… Wir fuhren hierher zu mir… Das Haus war wie ausgestorben, alle Büros waren schon geschlossen… Wir setzten das Mädchen vor den Fernseher… Wir stopften es mit Cola, Chips und Schokolade und Videos voll… Harry Potter und Zeichentrickfilme… Nikita rief bei Hewitt an… Hewitt wollte seine Tochter sprechen… Sie weinte wieder… Er beruhigte sie am Telefon… Hewitt war sofort einverstanden, das Lösegeld zu zahlen… Nikita schlug für die Übergabe einen Parkplatz am Flughafen Heathrow vor… Hewitt akzeptierte… Am Freitagabend… Es war ein wahnsinniger Lärm, die Flugzeuge heulten… Ein blauer Range Rover war schon da… Am Steuer saß eine blonde Frau… Hewitt stieg mit zwei großen Reisetaschen aus… Er kam auf uns zu… Nikita ging ihm entgegen, ließ sich den Inhalt der Reisetaschen zeigen… Er nahm die Taschen, kam zurück, winkte mir lächelnd zu… Ich ließ das Kind frei… Es lief zu der Frau im Wagen… Plötzlich rannte Hewitt los… Er schrie… wie Kriegsgeschrei… Ein Schuss… Er hatte auf Nikita geschossen… Ich griff zu der Waffe, die Nikita mir gegeben hatte… Ich schoss… Hewitt direkt in den Kopf… Hewitt blieb stehen, fiel im nächsten Augenblick wie ein Baum um… einfach so… Nikita schleppte sich zum Auto… Ich gab Gas… Nur weg… ganz schnell…«
    Pias Worte klopften gegen seinen Schädel. Dann hörte Willem Pias Stimme nicht mehr. Dann wieder, ganz nah an seinem Ohr.
    »Will, hörst du mich? Will, hörst du mir noch zu?«
    Willem hörte sie. Aber er konnte nichts sagen. Pia schrie ihn an.
    »Will, hör mir doch zu!«
    Willem wachte auf, als hätte er geschlafen. Sie brauchte nicht zu schreien. Er hatte sie doch verstanden!
    »Ich – ich höre dich«,

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