Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
ein Straßenkind. Das Mädchen auf der Couch gegenüber, Karen McGuire, hatte alles. Trotzdem würde ihr all das Geld den Großvater nicht zurückbringen.
»Wissen Sie denn schon, wie es passiert ist?« Sarah spielte mit der Perlenkette um ihren Hals. Die eine Pantolette wippte in unablässigem Rhythmus, was Costello nervös machte.
Ihr fiel auf, dass Sarah bedacht klang und keineswegs vorwurfsvoll. PC Gail Irvine hatte sich längst ans Fenster zurückgezogen; Costello war also auf sich allein gestellt. Sie entschied sich, ihnen die Wahrheit Stück für Stück zu sagen. »Wir versuchen weiterhin, uns ein Bild zu machen. Hatte Ihr Vater vielleicht Herzprobleme?«
»Nein, er brauchte nur Schmerzmittel für sein Knie. Die hat er genommen, solange ich mich erinnern kann«, erwiderte Sarah und spielte immer noch mit ihren Perlen.
»Und die bewahrte er in einem Dispenser auf?«
»Ja, er hatte eine Tablettenbox, und er hat die Arzneien immer zu den Mahlzeiten eingenommen.« Sarah nickte. »Oh, und außerdem eine Tablette, um die Nebenwirkungen auf den Magen zu mildern.«
»Und, Karen«, wandte sich Costello an Sarahs Tochter, die sich offensichtlich beruhigt hatte, »wie erschien er dir am Samstag, als du ihn besucht hast? So wie immer? Oder hat er über Beschwerden geklagt?«
»Nein. Na ja, in der Woche davor hatte er Kopfschmerzen. Die Mieter über ihm hatten die ganze Nacht laute Musik gehört, und ihm waren die Kopfschmerztabletten ausgegangen.« Sie rieb sich die Augen mit der Faust und wirkte plötzlich viel kindlicher. »Er wollte neue haben, Mum, weißt du noch?«
»Ja. Ich habe ihm welche gekauft. Am Freitag, auf dem Heimweg vom Tennis«, erklärte Sarah. »Das waren Kopfschmerztabletten, Headeze, die hat er früher auch schon genommen. Die hat sein Magen gut vertragen.«
»Er war also wie immer?« Costello rutschte zum Rand der Couch, ehe die sie verschlucken konnte.
»Er hat über das Essen für Weihnachten gesprochen. Er wollte, dass der Rosenkohl richtig gekocht wird. Und über das Wetter. Dabei hat er das Fernsehprogramm gelesen und sich beschwert, weil sie den Sendetermin von Top Gear verschoben haben.« Die Erinnerungen sprudelten nur so aus Karen heraus. »Er hat über alles Mögliche gemeckert – dass sie Gesprengte Ketten wiederholen, über die Mannschaft, die Celtic zusammengekauft hat …«
»Na ja, mit der Mannschaft ist wohl niemand in Glasgow einverstanden, oder? Hat er allein gewohnt?«
»Seit Mum gestorben ist«, sagte Sarah und lächelte schwach unter den Tränen hervor. »Er war sehr selbstständig – zu selbstständig zum falschen Zeitpunkt, aber was will man machen?«
»Wie häufig haben Sie ihn besucht?« Costello blieb freundlich.
»Oh, ich habe ihm immer samstagmittags die Einkäufe gebracht. Mittwochabends sind wir auch vorbeigekommen und …« Die Tränen stiegen ihr wieder in die Augen. »… haben Scrabble gespielt.«
»Er hat immer gemogelt«, warf Karen ein und verschränkte die Arme. »Dauernd hat er Wörter gelegt, die keiner kannte.«
»Genauso wie mein Dad«, log Costello und versuchte sich an einem schwachen Lächeln. »Na ja, entweder kannte man sie nicht, oder er war schlecht in Rechtschreibung.« Sie zögerte kurz. »Mrs. McGuire, Ihr Mann kommt doch sicherlich noch vorbei?«
Sarah nickte. »Tom? Ja. Wir leben zwar getrennt, aber er hat sich immer gut mit Dad verstanden. Donnerstags haben sie immer ein Pint zusammen getrunken, in der Clutha-Bar. Dad hat sich für gewöhnlich den ganzen Abend an einem einzigen Bier festgehalten.«
»Er hatte jede Menge alter Kumpels«, sagte Karen. »Die saßen in der Bar herum und haben über den Krieg geredet. Großvater hatte eine Menge Bücher darüber; ein paar hat er mir für mein Geschichtsprojekt geliehen.« Karen deutete auf einen Packen Bücher, die im Regal gestapelt waren. Costello legte den Kopf schief, um die Titel zu lesen, aber sie kannte keines davon.
»Nach Weihnachten fangen bei Karen die Vorprüfungen an«, erklärte Sarah, während sie die Hand ihrer Tochter ergriff. »Wir haben viel in ihre Ausbildung investiert.«
»Natürlich«, antwortete Costello und fügte hinzu: »Vielleicht klingt die Frage ein bisschen seltsam, aber hatte er häufiger zum Frühstück die Fritteuse eingeschaltet?«
Karen übernahm es zu antworten: »Er hat gern Sandwich mit Pommes und Steaksauce gegessen. Die Soße musste aber unbedingt die braune von HP sein«, setzte sie mit einem Hauch Verachtung hinzu. »Er ist spät
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