Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

mehr und mehr schwanden. Daher konnte sie Colins Verzweiflung verstehen.
    Sie stand auf und wankte ins Wohnzimmer, wo sie darüber staunte, wie erschöpft sie sich fühlte, nachdem sich das Adrenalin verflüchtigt hatte. Kurz überlegte sie, sich einen Tee zu machen, doch stattdessen setzte sie sich auf das Sofa und schaltete den Fernseher an, um die Spätnachrichten zu sehen. Brenda Anderson rief auf sehr emotionale Weise dazu auf, ihr den Sohn zurückzugeben – Irgendwer muss doch etwas wissen, wiederholte sie ständig. Fotokollagen schoben sich auf den Bildschirm und zeigten, welche Kleidung die drei Jungen trugen, als man sie zuletzt gesehen hatte, und die Zeiten und die Orte wurden eingespielt, wobei man die jeweilige Nummer des Vorfalls groß einblendete. Alles sah so einfach aus. Costello zog die Hände in die Ärmel ihrer Jacke hoch und ging im Geiste alles noch einmal durch. Nichts war übersehen worden. Die Listen der bekannten Pädophilen hatte man überprüft, doch alle Ermittlungen in diese Richtung endeten in einer Sackgasse. Abgesehen von Jinky Jones und Dec Slater, die zwar am Rande wahrgenommen wurden, aber nicht mehr anstellten, als gemeinsam abzuhängen und aneinanderzukleben, wie einem ein schlechter Geruch anhaftet. Sie wurden überwacht, sobald sie das Hotel verließen, und im Augenblick konnte man in diese Richtung nicht mehr unternehmen.
    Die nächste Nachricht handelte von diesem Oberidioten Rogan O’Neill und seiner Lauren McCrae. Die Regie zeigte ein Luftbild der Burg, dem neuen Heim der O’Neill-Familie. »Rogans langjähriger Leiter der Bühnentechnik ist bereits mit dem Toningenieur in Thailand eingetroffen, wo die beiden das erste Megakonzert der ausverkauften Pazifik-Tour vorbereiten«, las der Nachrichtensprecher vor. »Doch unser Glasgower Superstar hat seinen Flug verlegt und seiner Schottland-Tour einen weiteren Wohltätigkeitstermin angehängt.«
    Costello wurde flau im Magen. Jinky Jones und Dec Slater waren ihnen längst einen Schritt voraus. Hatte Rogan sie aus dem Land geschafft, weil er wusste, dass die Polizei ihnen auf den Fersen war? Hatte er auch in Amerika immer die Hand über sie gehalten und den gleichen Trick nun hier ebenfalls abgezogen? Wenn Littlewood mit seinem Verdacht betreffs der US-Touren richtiglag, hatten die beiden vermutlich alle Aussichten zunichtegemacht, dass Rogan seine Geschäfte von nun an in einer Burg führte, die nur vierzig Meilen entfernt war. Ging seine Loyalität so weit? Welche Bande hielten diese drei zusammen und vor allem, wie stark? Nun ja, wenn die amerikanischen Behörden genauso mit der thailändischen Polizei zusammenarbeiteten wie mit den Schotten, dann war Thailand vielleicht ein wunderbarer Ort für Jinky und Dec. Auf Kindesmissbrauch stand dort die Todesstrafe. Und Costello wusste eines ganz sicher über Pädophile: Sie konnten nicht aufhören. Wenn die thailändische Polizei sie erwischte, würden diese beiden Schweinehunde hängen.
    Und Lauren? Lauren mit der perfekten Haut, dem perfekten Haar, den perfekten Zähnen, Lauren, die Perfektion in Person? »Rogans Freundin, das Supermodel Lauren McCrae, wurde heute ins Nuffield Hospital eingeliefert, da sie im Hilton Hotel gestolpert und schwer gestürzt ist«, verkündete der Nachrichtensprecher, während auf dem Bildschirm ein Krankenwagen vom Hotel losfuhr. Ein Pressesprecher sagte ins Mikrophon: »Glücklicherweise ist dem Baby nichts passiert und auch Lauren nichts Ernsthaftes, dennoch wird sie zur Beobachtung dort behalten.«
    Ein Ausschnitt, der bereits früher in der Woche gesendet worden war, wurde wiederholt und zeigte Lauren, die stolz ihren Schwangerschaftsbauch hielt. »Ich liebe Schottland«, gurrte sie. »Und ich möchte unbedingt, dass mein Baby hier zur Welt kommt.« Sie sah unglaublich schön aus, wirkte jedoch ein wenig ängstlich, als die Kamera zu Rogan schwenkte. Als sie wieder ins Bild kam, strahlte sie. Vielleicht hatte Costello es sich nur eingebildet, allerdings hatte sie daran so ihre Zweifel.
    Mist, dachte Costello, als der Groschen fiel. Wie kam sie jetzt an Lauren heran?
    Das Telefon klingelte, und sie riss den Hörer ans Ohr. »Ja!«
    »Haben Sie die Nachrichten gesehen?«, fragte Mulholland.
    »Lauren?«
    »Nein, Jinky und Dec.«
    »Wie zum Teufel sind die rausgekommen?«
    »Ist ein freies Land. Und ein Hotel hat viele Türen.«
    »Gibt es schon ein Lebenszeichen von Anderson?«
    »Nein, John Littlewood sucht nach ihm.«
    »Sagen Sie mir Bescheid,