Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
setzte ihn sich fröhlich auf.
Im Publikum kehrte Ruhe ein, als er sich ans Keyboard setzte, die Finger dehnte und die ersten Töne spielte. Er beugte sich zum Mikro vor und zeigte sein schönes Profil.
Der langsame Bass von »Tambourine Girl« setzte ein, und ein Scheinwerfer schwenkte über die Bühne und folgte einer Gestalt, die zur Mitte der Bühne ging, sich auf einem Stuhl niederließ und hinter einem Vorhang aus dunklem Haar nervös und schüchtern wirkte.
Costello hatte das Gefühl, ihr Herz würde stehen bleiben, und sie drückte auf Pause. Eine Schaufensterpuppe. Vik hatte erzählt, Fran habe eine Schaufensterpuppe. Sie betrachtete das schüchterne Lächeln des Mädchens auf dem Stuhl, dessen Schönheit in diesem Augenblick für alle Ewigkeit eingefroren war. Sie hatte sie oft bei Rogan gesehen, wenn er für sie sang. Und sie war eifersüchtig auf sie gewesen.
Costello sprang auf und vergaß das Pochen in ihrem Schädel so lange, bis die heftige Bewegung sie auf schmerzhafte Weise daran erinnerte. In ihrem anderen Zimmer durchsuchte sie das Fach mit den alten Vinylscheiben im unteren Teil ihres Kleiderschranks. Sie fischte Rogans Album Man Alone heraus, das mit »The Lost Boy«, und zog die Innenhülle hervor, eine Collage kleiner Schwarzweißfotos der Band aus der Zeit, ehe sie berühmt geworden war … Freunde, Verwandte, Fans. Costello drehte sie um und suchte nach einem bestimmten Bild. Und da war’s, oben in der Ecke. Frances starrte sie vom Foto eines Passbildautomaten an. Das schwarze Haar war geschnitten wie das von Cher, mit Ponyfrisur, aber es handelte sich um die gleiche Frau. Die Frau, die Peter den Goldfisch geschenkt hatte.
Sie ging wieder ins Wohnzimmer und drückte auf Play, und sie schaute der Dunkelhaarigen zu, wie sie das Tamburin spielte – jung, unschuldig, die eine Hand seitlich im Gesicht … Costello hatte es gleich gewusst, als sie Frances zum ersten Mal gesehen hatte, dass sie sie schon kannte. Mein Gott, Frances war das echte Tambourine Girl! Dieses ganze blöde Lied handelte von ihr! Costello beobachtete gebannt, wie Rogan zu singen begann.
She plays her tambourine, at the break of day,
Remembers all that she’s seen, places she’s been
But the dreams fade away …
Costello erwischte sich beim Mitsingen, denn der Text war ihr immer noch geläufig.
She plays her tambourine, when the daylight goes …
Sie konnte sich daran erinnern, als wäre es gestern gewesen, als sie selbst auf diesem Stuhl gesessen hatte. Nervös hatte sie da im Scheinwerferlicht gehockt und mit dem Tamburin gerasselt, immer in der Angst, aus dem Takt zu kommen, und trotzdem hatte sie sich gewünscht, der Augenblick würde ewig dauern. Dann war das Licht ausgegangen, und eine Hand hatte sie von der Bühne geführt und ihr einen Blumenstrauß überreicht sowie sie dazu eingeladen, in der Garderobe auf Rogan zu warten. Und sie war in den Raum mit dem schummrigen Licht und dem billigen Wein gegangen. Sie hatte die Blumen behalten und ansonsten Reißaus genommen. Da war sie sechzehn gewesen.
Jetzt saß sie hier und lauschte den letzten Zeilen des Textes. Seither waren viele Jahre verstrichen, in denen sie klüger geworden war.
Walking away from pain and sorrow; walking to somewhere new,
Walking away to her own tomorrow, walking away, she’s through.
Oh-oh, say goodnight to the tambourine girl, she says goodnight to you.
Costello wartete auf das gehauchte, leise Goodnight am Ende des Songs, bei dem sie stets eine Gänsehaut bekam, aber es kam nicht. Sie zitterte, und plötzlich beruhigte sich das Chaos in ihrem Kopf. Das Lied war viel düsterer, als sie bisher gedacht hatte, denn es deutete sich an, dass das Tambourine Girl sich das Leben genommen hatte.
Trotzdem war es ein weiter Sprung von Frances zu Luca und Troy. Costello trommelte mit dem Telefon gegen ihr Kinn. Sie wusste, da war etwas , sie hatte etwas gesehen, und ihr hätte etwas auffallen sollen. Aber sie war zu beschäftigt, um es mitzubekommen. Denk nach, denk nach, denk nach, denk nach . Viks blöde Handschuhe, zusammengefaltet in einer Tüte … einer Plastiktüte, die Frances in die Wache gebracht und am Tresen abgegeben hatte. Und Costello hatte sie entgegengenommen und sie hinter seinen Schreibtisch gestellt. Frances war anschließend einfach davongegangen. Daran war nichts Ungewöhnliches; sie wohnte im Beaumont Place, gerade mal fünf Fußminuten von der Hyndland Road entfernt … Costellos Hirn machte klick. Mitten im roten
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