Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
wenn sie ihn finden. Wenn das alles vorbei ist, schulde ich ihm ein geschwollenes Gesicht. Ich brauche nur eine Kopfschmerztablette und ein Nickerchen. Vor Mitternacht bin ich wieder da.«
»Nehmen Sie keine Headeze.«
»Sehr witzig«, meinte Costello und legte auf. Sie krabbelte über den Boden zum Fernseher. Auf der Wache hatten sie sich das Video angeschaut, auf dem Rogans Band in Blackfriars vor einem kaum zweistelligen Publikum gespielt hatte. Sie hatten den Ton abgestellt und sich über die Vokuhilas und die Schulterpolster in den Jacken lustig gemacht. Jetzt schob sie die Kassette in den Recorder und drückte auf Play.
Und da waren sie, Dec Slater und Jinky Jones. Jinky stand am Rand der niedrigen Bühne, rauchte und trank. Dec war am Mischpult, nicht richtig im Bild. War es nur Freundschaft, was die drei diese langen Jahre zusammengehalten hatte, oder teilten sie ein mieses kleines Geheimnis, hatten sie einen Pakt des Bösen geschlossen, die Kinderschänder und der Kerl, der Frauen verprügelte?
Costello setzte sich auf die Hacken, während schwarz-weiße Streifen über den Bildschirm wanderten, dann schwenkte die Kamera herum und wackelte leicht, weil sie von ungeübter Hand geführt wurde. Rogan stand im Scheinwerferlicht. Der Ton war eine Katastrophe. Offensichtlich spielte die Band in einem Pub, jedenfalls hörte man Hintergrundgeräusche und Gläserklirren, während Rogan ins Mikrophon sprach, das gelegentlich Aussetzer zeigte.
»… Coverversion, aber nur diese eine …«
Das Publikum klatschte und jubelte, und Rogan verschwand in einem Meer aus Händen. Costello wusste, nun würden sie entweder »Without You« oder »Rubber Bullets« spielen, die beiden einzigen Coverversionen, die je zu ihrem Repertoire gehört hatten, wenn man diese entsetzlich schmierige Version von »Cadillac Ranch« einmal außen vor ließ, mit der sich Rogan auf dem amerikanischen Markt eingeschleimt hatte.
Das Anfangsriff der Gitarre erklang und erinnerte eher an Bruce Springsteen als an Harry Nilsson. Costello setzte sich auf den Boden und lehnte sich an die Couch.
Damals, als Teenager, war sie ein Fan von Rogan gewesen, und dann war es für sie ein bisschen ernster geworden, nachdem sie auf dem Hocker im Scheinwerferlicht gesessen hatte, in ihrer Jeans und in den neuen schwarzen Schuhen, die so unbequem waren, und er hatte für sie gesungen – Say hello to the tambourine girl, she says hello to you.
Sie schaute ihm beim Singen zu, und all die Jahre fielen von ihr ab. Ihr Kopf drehte sich, und Bilder, Gedanken und Ideen vermischten sich miteinander. Lauren war von Rogan schwanger. Lauren war unbehaglich zumute, ja, sie hatte sogar Angst. Angst, von ihm die Faust ins Gesicht zu bekommen? Angst vor Schlimmerem? Costello verfluchte die dumme Kuh im Stillen, weil sie nicht offen geredet hatte, als sie die Gelegenheit dazu gehabt hatte, während sie tief im Inneren wusste, dass sie es sowieso nie tun würde.
Rogans Gitarre hallte durch den Pub, mit all den schrägen Tönen, und er sang einen anderen großen Hit, »The Lost Boy«. Costello hatte immer gedacht, es gehe darum, einen Lover zu verlieren, aber natürlich konnte es sich genauso gut um ein Kind handeln. Konnte irgendjemand tatsächlich weiterleben, nachdem er ein Kind verloren hatte?
What’s the point of crying, with no more tears to cry?
What’s the point of dying, when nothing’s left to die?
Brenda hatte ihr Kind in aller Öffentlichkeit verloren – grausam, unglaublich grausam. Wenn Peter nicht wieder nach Hause kam, würde die arme Frau vielleicht nie wieder ruhig schlafen. Und Costello sah auch nicht, wie die Ehe der beiden dieses Ereignis überstehen sollte; oder wie Anderson es überstehen sollte, diesen Verlust seines geliebten Jungen.
Irgendwer – aber wer? Lauren? Rogan? – hatte etwas über den Verlust eines Babys gesagt. Costellos Mutter hatte immer behauptet, es würde einer Schwangeren Pech bringen, über solche Dinge zu reden.
Costello beugte sich im Dunkeln auf alle viere vor und starrte in den Fernseher, als hielte der die Antwort bereit.
Jetzt nahm sich Rogan die Gitarre ab, die an einem Gurt um seinen Hals gehangen hatte. Er sagte »Death of the Enchanted« an, einen langsamen Song mit einem eher zappeligen Rhythmus.
Und da erinnerte sie sich an etwas, das Lauren gesagt hatte. Plötzlich wusste sie es genau: Er hatte eine Freundin, die ein Baby verloren hat. Und diesmal will er auf Nummer sicher gehen.
Er hatte eine Freundin
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