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Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)

Titel: Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caro Ramsay
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Bordstein rutschte. Der Motor erstarb. Anderson stieg aus und knallte die Tür so heftig zu, dass der ganze Wagen wackelte. Er ging los, in den Schnee und die Dunkelheit, krempelte die Ärmel hoch und lief durch die stille Stadt, durchnässt bis auf die Haut, die Schultern hochgezogen, vorbei an Türen mit Weihnachtskränzen und erhellten Fenstern mit Karten und Weihnachtsbäumchen. Er bog links ab, stieg den kleinen Hügel hinauf und stand plötzlich vor dem Tor der Western Necropolis, des großen Friedhofs. Die kleinen Grabsteine der Opfer des Zweiten Weltkriegs waren mit Schnee bedeckt, standen jedoch wie immer in Reih und Glied. Er lehnte sich an das Gitter auf der Mauer und drückte das Gesicht an die Stangen. Er rüttelte am Tor und zerrte niedergeschlagen an den Ketten. Die hielten fest.
    Der Mond schien, überall herrschte Stille, Totenstille. Plötzlich war es von elementarer Wichtigkeit in seinem Leben, dieses Tor zu überwinden. Wenn er das schaffte, diese einfache Sache, dann würde er auch Peter finden. Er würde nach Hause gehen, und Peter würde frisch gebadet auf dem Sofa sitzen, in seinem Deputy-Dawg-Pyjama, und würde weichgekochte Eier mit schmalen Toaststreifen austunken. Alles würde gut sein. Anderson begann, auf die Mauer zu steigen und dann auf den schmiedeeisernen Zaun darauf. Sein Hemd wurde aus der Hose gezogen, als er an den Spitzen hängen blieb; er hörte den Stoff reißen, als er sich auf der anderen Seite fallen ließ. Auf dem Friedhof war der Weg zuerst gerade und gabelte sich danach in Grünanlagen, die in der Dunkelheit grau wirkten. Er folgte irgendeiner Richtung, ehe ihm überhaupt dämmerte, warum er eigentlich hier war und was er eigentlich wollte.
    Hoch oben auf dem Hügel gelegen, herrschte, abgesehen vom Wispern des Windes in den kahlen Ästen, Totenstille. Unten leuchteten die Lichter von Glasgow in tiefem Gelb. Er blieb an einem Grab stehen, auf dem noch kein Stein gesetzt war, auf dem nur in einer Vase frische Blumen im Wind schwankten. Er kniete sich hin und las die Karte an den Blumen: Geliebter Alan, ich vermisse dich. Anderson biss sich in den Finger, konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich vermisse dich auch, du Scheißkerl. Du solltest hier sein. Er stand auf und schrie: »Du solltest HIER sein!« Taumelnd wankte er auf den Weg zurück, und der Wind fegte über die Hügelkuppe, erfasste ihn und blies die Tränen über seine Wangen. Er wischte sich das Gesicht mit dem Hemdsärmel. Wie kann jemand besser wissen, wie es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt, als du? Jemanden, für den man liebend gern sein Leben geben würde?
    Anderson sah sich um und fand ein anderes Grab, an der Seite, und da war sie – Anna. Die Frau, für die Alan liebend gern sein Leben gegeben hatte. Leise sagte er: »Natürlich, du weißt es, Alan. Du weißt es besser als jeder von uns, wie das ist.« Der Wind packte ihn, er verlor das Gleichgewicht und stellte einen Fuß auf den Weg, um nicht umzukippen. Er blickte sich um; der Wind trieb ihm die Luft aus den Lungen und ließ die Äste peitschen. Und dabei fühlte sich die Böe an, als hätte ihn gerade jemand gestoßen, fortgestoßen vom Grab.
    Plötzlich begriff er, wie hoch er gestiegen war. Er sah unter sich die ganze Stadt mit all den Lichtern, den orangefarbenen Natriumdampflampen, den weißen Lampen an der Autobahn, den roten Rücklichtern, die sich darunter entlangschlängelten. Er blickte nach oben und ließ den Schneeregen auf sein Gesicht prasseln, damit er wieder einen klaren Kopf bekam. Das einzige Geräusch war der Wind, der zwischen den Grabsteinen hindurchfuhr und in den Ästen rauschte. Er würde zurückgehen und sich das Band ansehen, wieder und wieder und wieder, und er würde niemanden außer Peter beobachten, um am Ende zu sehen, was Peter gesehen haben musste. Er würde tun, was der Boss immer tat – er würde sich hinsetzen und nachdenken.
    Und er würde seinen Sohn finden.

27
     
    Costello legte auf. Noch immer kein Peter. Kein Luca. Kein Troy. Lewis hatte einen Streifenpolizisten namens Smythe als Babysitter. Anderson war vom Radar verschwunden, und inzwischen suchten sie auch schon nach ihm.
    Hier, zu Hause, hatte Costello trotz Kopfschmerzen Raum zum Denken, obwohl der Druck in ihrem Hinterkopf zunahm und ein kräftiges Pochen auslöste.
    Peter war seit vierundzwanzig Stunden verschwunden, und sie wusste ebenso gut wie die ganze Mannschaft, dass die Chancen, eines der Kinder lebendig wiederzufinden,

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