Sein eigen Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
seine Mutter, die vermutlich wissen wollte, wo er steckte. Er klappte rasch das Telefon auf, während er sich von Lynnes Wagen entfernte.
In seinem Berufsleben hatte Colin Anderson schon häufig daran gedacht, mit dem Rauchen anzufangen, und jetzt, als er vor dem Eingang der Notaufnahme des Western Hospital im eiskalten Schneeregen stand und aus irgendeinem Radio im Inneren ein von Harry Secombe geschmettertes Weihnachtslied dröhnte, glaubte er, es wäre vielleicht seine letzte Hoffnung, um bei klarem Verstand zu bleiben. Er hörte die Feiernden von der zur Byres Road gelegenen Seite des Krankenhauses, während draußen eine kleine Gruppe Raucher stand, sich in die Mäntel mummelte und schweigend rauchte. Die einzige Bewegung waren Rauchwolken, die gelegentlich aufstiegen und dann vom Schneeregen verschluckt wurden.
Colin öffnete die Wagentür und stieg ein; er wusste nicht, wo er hin sollte. Er brachte nicht einmal die Kraft auf, sich schlecht zu fühlen. Peter war in guten Händen und durch Medikamente in einen Tiefschlaf versetzt worden. Brenda saß an seinem Bett, und ihre Mutter hatte Claire zu sich mit nach Hause genommen. Luca hatte das Bewusstsein wiedererlangt, und seine Mutter hatte zum ersten Mal seit Jahren gelächelt. Troy lag gemeinsam mit Frances erkaltet in der Leichenhalle.
Anderson steckte die Hände in die Hosentaschen, weil er hoffte, sie auf diese Weise zu wärmen, und fand eine halbe Packung Fruchtgummi und die verklebte Plastikfolie eines kandierten Apfels, Überreste dessen, was Peter auf dem Basar vertilgt hatte. Vor zwei Tagen. Erst. Und in diesen beiden Tagen hätte Colin seinen Sohn beinahe verloren.
Und noch immer gab es unerledigte Arbeit; der Giftmischer lief frei herum, böse, übelwollend, unsichtbar und gefährlich. Gerüchten zufolge war die Schwester der Zeichnerin von Squidgy McMidge hier im Krankenhaus gestorben, doch Colin konnte das nur schwer glauben. Nicht nach all der Publicity, bestimmt nicht.
Er sah Vik Mulholland, der über den Parkplatz trottete und den Kragen seines Mantels hochschlug. Der arme Bursche war völlig erledigt – er war plötzlich gealtert und hatte die Haltung eines Greises.
Anderson beugte sich vor und öffnete die Wagentür. »Vik?«, rief er. »Kann ich Sie irgendwohin mitnehmen?«
Mulholland ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder. Er sah Anderson nicht an. »Ich weiß nicht, wohin«, grunzte er. »Im Augenblick nicht.«
»Geht mir ähnlich.« Anderson starrte durch die Windschutzscheibe. »Haben Sie sie gesehen?«
»Nein, das hebe ich mir für einen anderen Tag auf. Sie läuft ja nicht weg.«
»Mein Beileid, Vik. Ich habe sie ja eigentlich gar nicht gekannt, aber es ist bestimmt schwer für Sie.«
»Ich denke die ganze Zeit, mir hätte doch irgendetwas auffallen müssen – mein Gott, ich war bei ihr, als die Kinder unten im Keller waren. Sie war so nett, Col, so … so liebevoll. Ich kann es immer noch nicht fassen.«
»Gott weiß, Frauen sind schon in ihren besten Zeiten vielschichtig. Und Ihre Frances hat solche besten Zeiten vermutlich nie kennengelernt.« Er schob sich auf dem Sitz zurecht und seufzte tief. »Na ja, das ist jetzt das Problem von jemand anderem. Ich muss mich um meine eigene Familie kümmern. Ich habe sogar mein Handy abgeschaltet.«
»Bestimmt nicht für lange. Sie schalten es wieder ein, für alle Fälle.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Sie ähneln dem alten Boss mehr, als Sie glauben.«
»Das nehme ich mal als Kompliment.«
»War allerdings nicht so gemeint.«
Und Anderson war nicht davon begeistert, nach Hause zu gehen, nicht, solange Peter im Krankenhaus lag. Vik brauchte jedoch Beistand. Und mit Quinn kam er inzwischen auch besser klar – was ebenfalls für Costello galt. Sie konnten alle einen Schluck zu trinken gebrauchen. Dann wäre es wie in den guten alten Zeiten – und Mann, das war er ihnen schuldig. Er könnte sogar O’Hare einladen. Wie viel Spaß hatte ein Pathologe schon an Weihnachten, wenn seine Leichenhalle voller »Kunden« lag?
Sie saßen eine Minute lang schweigend da und schauten zwei Schwestern zu, die sich unerlaubterweise für eine Zigarette nach draußen schlichen. Beide hatten eine Glitzergirlande um den Hals.
»Vik? Was halten Sie davon, sich ordentlich volllaufen zu lassen?«
Vik holte tief Luft. »DI Anderson, ich bin nicht der Typ, der sich einem Vorgesetzten widersetzt.«
»Gut zu wissen, DC Mulholland.«
Zu den beiden Schwestern gesellte sich ein Santa Claus, der
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