Sein letzter Burgunder
prämierte Weine standen, erzielte der Winzer seiner Meinung nach trotzdem einen schlechten Preis. Die unterschiedlichen Qualitätsstufen, von Kabinett bis zum Ersten Gewächs, fanden in den Bewertungen keine Entsprechung. Man hätte Kategorien bilden müssen. Die Einladung, seine Weine beim Hamburger Wettbewerb zur Bewertung einzureichen, habe er gleich verworfen, wohl aber den Rotweinpreis der Zeitschrift Vinum angenommen.
Die Welt ist voller Widersprüche, dachte Henry und hielt von Gleichenstein auch nicht für den typischen Kandidaten für diese Art Wettbewerbe.
Der junge Winzer und Geschäftsmann wandte in seinem Betrieb eine Reihe von Methoden an, die Henry durchaus für sinnvoll hielt. Waren bei Übernahme des Gutes noch dreizehn Rebsorten gekeltert worden, so hatte von Gleichenstein sie bis auf sieben reduziert. »Der Kaiserstuhl mussBurgunderland werden«, sagte er, deshalb stand für ihn diese Rebfamilie im Vordergrund. Müller-Thurgau, Muskateller und Chardonnay dienten der Sektherstellung.
Diese Einschränkung war vernünftig, nicht nur aus Sicht des Winzers. Welcher Kunde fand sich in einer Preisliste mit siebzig Produkten zurecht? Wer sollte sich in den Jahrgängen und ihren Unterschieden auskennen? Und dann kamen noch die verschiedenen Preise dazu. Wer verstand, weshalb die Spätlese des Vorjahres billiger war als die aktuelle? Wollte der Winzer den Keller leer haben? Der Freiherr löste das Problem auf seine Weise: Der neue Jahrgang wurde erst angeboten, wenn der Vorjahreswein verkauft war. So hielten es auch Peñasco und Lagar.
Während Frank mit der Kamera dem Kellermeister von Fass zu Fass nachschlich, wurde das Gespräch auf der Terrasse häufig unterbrochen. Ein Techniker meldete sich, weil der Heizkessel nach Gas roch. Wegen eines Grundstücks führte von Gleichenstein ein längeres Telefonat, dann kam die kleine Tochter weinend angerannt, sie hatte sich den Finger geklemmt, und dann wollte der Kellermeister wissen, an welche Stelle er das neue Fass legen sollte. In der Ferne hörte man eine Kreissäge jaulen, irgendwo lief ein Motor, und das Zischen des Rasensprengers leitete die Weinprobe ein, zu der auch Frank sich wieder gesellte.
Alle Weine waren makellos. Bei den Weißburgundern stieß die trockene Spätlese bei Henry auf viel Liebe. Frische und Gehalt hielten sich hier schön die Waage, es war ein Wein, der seine Aromen zeigte und dessen Geschmack im Munde lange nicht verging. Franks Favorit war die Grauburgunder Spätlese mit dem Geschmack reifer Früchte und einem Hauch von Vulkanasche für den, der dieses Aroma zu deuten wusste. Bei dieser Rebe stand Henry mehr auf den Baron Louis, der Geschmack des Holzfasses, in dem die Spätlese ausgebaut worden war, blieb diskret und gab dem Wein mehr Schmelz.
Bei den Roten Burgundern war es schwer, einen Rang zu vergeben, nach all dem, was Henry in den letzten Tagen probiert hatte. Unter diesen fünf war nicht einer, der ihn langweilte. Mal waren sie ertragsreduziert, mal im gebrauchten Barrique ausgebaut, mal war es eine Zweitbelegung des Fasses oder ein Wein, der nach der Kaltmazeration sechs Tage bei zehn Grad im Tank gelegen hatte, um die Gärung hinauszuzögern. Hinzu kam eine unterschiedliche Lagerung im Stückfass, im Barrique und auf der Flasche. Johannes von Gleichenstein und sein Kellermeister, Odin Bauer, studierter Önologe, kannten das Klavier, auf dem sie vierhändig spielten.
Das werden wir von nun an auch tun, dachte Henry mit Blick auf Frank, als sie zum Mittagessen in die »Sonne« fuhren. Vier Augen sehen mehr als zwei, und es ist für uns beide bei weitem sicherer – und vielleicht sogar lebensnotwendig? Sie konnten sich gegenseitig Deckung geben.
17
Bedenkzeit
Der Wirt betrachtete Henry wie einen Eindringling. Dass ihn ein zweiter Mann begleitete, gefiel dem Mann am Zapfhahn noch weniger. Hatte er Angst, dass man ihm einen seiner besten Zecher abspenstig machte, der in seiner Ecke saß und sich die Tagesdosis verpasste?
Bei seinem ersten Besuch hatte Henry der Einrichtung des Gasthauses »Sonne« keinen Blick geschenkt, heute aber unterzog er seine Umgebung einer genauen Überprüfung, konnte er sich doch vorstellen, dass die »Glorreichen Drei« seine zukünftigen Schritte überwachten. Sie würden nicht kampflos aufgeben. Hecklers Einlenken war mit Vorsicht zu genießen, das hatte auch Frank angeraten, »mit äußerster Vorsicht. Derartige Leute geben selten klein bei!«
Außerdem passte die Einrichtung der
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