Sein letzter Burgunder
ist denen egal. Ein Kollateralschaden geht denen am Arsch vorbei wie den deutschen Soldaten die toten Zivilisten in Afghanistan. Wer nicht zu mir gehört, ist ein Taliban.«
»Du vermutest«, Henry wagte kaum, das Wort auszusprechen, denn bei der Dimension wurde ihm schwindlig, »du vermutest die Mafia?«
»Nein, die ’Ndrangheta, die kalabrischen Gangster. Sie wissen, wie wenig ihr eigenes Leben wert ist, also gehen sie mit dem Leben anderer genauso brutal um. Entweder die oder ich. Amber und diese Frau werden dazwischengeraten sein, und du auch. Wie gnadenlos sie sind, hast du bemerkt. Das ist nicht Affekt, das ist Kalkül. Das wussten alle, gleich nach dem Mord war es klar. Hättest du nicht so gut reagiert, wärest du jetzt tot und nicht sie. Mitleid ist völlig fehl am Platze.«
»Wenn du aussteigen willst, Frank – ich kann’s leider nicht mehr, auch wenn ich wollte.«
»So oft, wie ich mit dir in den letzten Tagen gesehen wurde, wird mir das Aussteigen schwerlich gelingen. Die werden es mir nicht abnehmen, dass ich nichts weiß. Also – reg dich ab.«
Henry erkannte die Unfallstelle wieder. Genau hier waren Templins Frau und Sohn verunglückt. Er fuhr ein Stück weiter und hielt auf dem Grünstreifen zwischen zwei Bäumen. Frank beobachtete beim Aussteigen die Umgebung genauso aufmerksam wie er. Zwischen Niedergeschlagenheit und Kampfgeist hin- und hergerissen gingen sie zum Tatort. Spuren waren reichlich vorhanden. Wer sie zu deuten wusste, so wie Henry, konnte sich den Hergang des »Unfalls« genau ausmalen.
Frau Schönhals war aus derselben Richtung gekommenwie sie, dann war von rechts aus dem Kapellenweg ein Wagen herausgeschossen, und um den Zusammenprall zu vermeiden, musste die Schönhals das Steuer ihres Wagens nach links gerissen haben und war gegen einen der eng stehenden Straßenbäume geprallt.
Die Kerzen, die Blumen und das zerbrochene Kreuz hatte sicher Templin hier aufgestellt. Alles lag weit verstreut herum, als hätte der zweite Unglückswagen sich denselben Weg gesucht. Für Henry war der Unfall genau in der gleichen Weise abgelaufen wie der erste. Templins ehemaliger Fahrer kam Henry in den Sinn. Jemand, der beruflich viel unterwegs war, kannte das hiesige Fahrverhalten, die Straßen und ihre Beschaffenheit, wusste, wo und wie Menschen in kritischen Situationen reagierten. Und wenn ein schwarzer BMW auf dem Feldweg gestanden hatte und in dem Moment losgerast war, als die Schönhals gekommen war?
Frank suchte wie ein Spürhund den asphaltierten Weg ab, der zu einem Friedhof führte. »Wie makaber, an einer solchen Stelle zu sterben«, sagte er und winkte Henry herbei. Er zeigte auf schwarze Flecken auf dem grauen Asphalt. »Das hat dein Kommissar wahrscheinlich übersehen. Es sind Abriebspuren durchdrehender Reifen. Die müssen voll aufs Gas gegangen sein, als die Schönhals kam.« Frank fotografierte die Spuren aus der Nähe, dann nebst Umfeld und Hintergrund, um sie richtig einzuordnen. Langsam ging er zum Wagen zurück.
»Lass uns lieber darüber nachdenken, wie wir aus der Scheiße rauskommen.«
Henry lachte laut auf. »Mit einem guten Glas Wein geht’s besser. Lass uns sehen, was der Freiherr zu bieten hat.«
Der Empfang durch den jungen von Gleichenstein war so herzlich, wie er bei einer ersten Begegnung sein konnte. Franks Anwesenheit störte nicht, er konnte seine Kamera sehr diskret handhaben und überließ Henry das Feld dertausend Fragen. Sie nahmen hinter dem großen Haus an der Hauptstraße in Oberrotweil auf der Terrasse Platz. Es wäre für Henry ein idealer Ort zum Schreiben gewesen: Blumen ringsum, die Wirtschaftsgebäude rechts, der alte Park links und dahinter die ersten Weingärten. Es würde wieder ein sehr warmer Tag werden, doch ein Sonnenschirm machte den Aufenthalt sehr angenehm.
Johannes von Gleichenstein betrieb mit seiner Frau Christina das Weingut in elfter Generation. Um 1634 hatten die Vorfahren Hof und Ländereien des ehemaligen Benediktinerklosters St. Blasien gekauft. Der junge Freiherr hatte in Geisenheim studiert, was ihm zu theoretisch gewesen war, so hatte er die Ausbildung als Weinbautechniker beendet. Nach Aufenthalten in Australien und den USA war er zurückgekommen, hatte mit zweiundzwanzig Hektar begonnen und bewirtschaftete heute fünfunddreißig. Weitere fünfzehn Hektar sollten demnächst dazukommen.
Von der Challenge hielt er nicht viel, der Fachhandel wolle keine Münzen auf der Flasche, auch wenn im Supermarkt
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