Sein letzter Burgunder
Kaffee.«
Die flüssige Sprache Templins und die klar geäußerten Gedanken verblüfften Henry. Und von Selbstmitleid keine Spur.
»Da staunen Sie. Ja, zuerst habe ich getrunken, nach dem Unglück. Ich wollte vergessen, so albern das klingt, ich wollte mich nicht erinnern, nichts denken, nichts fühlen, nicht sein. Und reden? Wozu? Es wird immer so dahergeplappert, dass man die Schicksalsschläge hinnehmen muss, dass es Prüfungen sind. Das ist Quatsch. Wer sollte mich prüfen? Vieles wird man niemals los. Ich war wie gelähmt, habe nichts tun können und dadurch eine komplette Lese verloren. Das war der Anfang vom Ende. Wenn mir einer gut zureden wollte, habe ich ihm gesagt, er soll losgehen und sichmeine Trauben holen und damit machen, was er will, verstehen Sie? Nein, das können Sie nicht verstehen. Ich war viel zu sehr mit meiner Not und mit meiner Trauer beschäftigt, um den Angriff auf mein Weingut zu bemerken, die feindliche Übernahme. Der Mann von der Bank, Münnemeyer, hat mich immer wieder beruhigt, das mit den Krediten sei kein Problem – und ich Idiot habe es geglaubt, mir keine schriftliche Zusage geben lassen, dann war es zu spät. Er hat die Klärung hinausgezögert und ein einziges Gespräch unter Zeugen mit mir geführt, ganz bewusst. Der Zeuge war J. J., und der hat später alles bestritten – wie wollen Sie unter derartigen Umständen diese Machenschaften beweisen?«
»Was hat das mit Alan Amber zu tun?«, fragte Henry, der wenig erpicht auf eine Lebensbeichte war, unwillig. Er stand mit dem Rücken zu Templin und sah auf die Straße hinunter. Alles war ruhig, nicht einmal Katzen waren unterwegs.
»Nichts hat das damit zu tun. Amber ist eine ganz andere Geschichte. Es sind keine dreißig Jahre seitdem vergangen, es sind sogar vierzig. Jetzt holen Sie schon Ihren Freund rauf.«
Templin ging in die Küche, Henry zum Wagen. Er musste Frank fast mit Gewalt nach oben schleppen.
Ein wenig zitterte die Hand Templins beim Einschenken aus der alten Kaffeekanne. Vielleicht lag es auch am argwöhnischen Seitenblick auf Frank?
»Als ich begriffen habe, was da läuft, habe ich weiter getrunken, ich habe mir eingeredet, dass ich den Alkoholiker nur spiele, damit sie mich nicht ernst nehmen. Ich wollte ihnen den Betrug nachweisen. Aber ich habe mich in zweierlei Hinsicht verrechnet: Ich habe ihnen den Betrug nicht nachgewiesen, und ich habe mir eingebildet, ich käme vom Alkohol jederzeit weg. Aber es geht nicht, ich werde wohl eine Entziehungskur machen müssen, allein schaffeich das nicht. Nun zu unserem verstorbenen Freund Amber. Wie gesagt, auch dazu muss ich ausholen. Mein Vater war ein Despot. Er war Winzer, es war sein Weingut. So mit fünfzehn Jahren, ich war schon ziemlich kräftig, habe ich angefangen, ihm Contra zu geben, besonders wenn er meine Mutter schlecht behandelt hat. Ich habe ihm irgendwann gesagt, wenn er sie noch einmal heftig anfasst, haue ich ihm was aufs Maul. Das schafft nicht die beste Arbeitsatmosphäre zwischen Vater und Sohn, das können Sie sich denken. Er hat mich danach vor anderen runtergeputzt, absichtlich, um mich klein zu machen, obwohl ich schon damals wusste, wie man Reben richtig schneidet, wie man Wein macht, wie man Schlepper fährt, und im Gegensatz zu ihm habe ich auch die Weine der Nachbarn probiert und Bücher über Weinbau gelesen. Mein Alter aber ließ sich nichts sagen, er tobte immer gleich los, und mit seinen Weinen hatte er Erfolg. Das ist mein Gut, und hier bestimme ich! Mit Ach und Krach habe ich das Abitur geschafft, dann habe ich eine Winzerlehre gemacht, hier in der Nähe, um meine Mutter nicht ihm zu überlassen. Allein konnte sie sich nicht wehren. Aber vor mir hatte der Alte Angst. Als es unerträglich wurde, bin ich nach Italien abgehauen. Ein Freund kannte einen Winzer in Kalabrien …«
»Da haben Sie Amber kennengelernt?«
»Genau da. Er arbeitete auf einem benachbarten Weingut, und weil ich Englisch sprach und jemanden suchte, mit dem ich reden konnte, mein Italienisch war nicht so gut, haben wir uns angefreundet. Er hatte damals bereits eine große Klappe, er würde mal ganz groß rauskommen, international, als Weinexperte, aber nicht als Winzer. Die Arbeit war ihm zu hart. Er wollte immer Weintester werden, er wollte urteilen, er wollte Macht über andere und um Himmels willen nicht arbeiten. Er hat sich gedrückt, wo immer es ging. Aber seine Sprüche über Wein waren großartig, er hatte eine rasche Auffassungsgabe, er
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