Sein letzter Burgunder
Möchtegernwinzer hatten sich belauert, jeder hatte auf einen Fehler, einen Versprecher des anderen gewartet, wobei Johansen sich nun vor Templin fürchtete. Er hatte ihn bislang für nicht zurechnungsfähig gehalten.
Templin schaute verkniffen in die Runde, die Spannung war noch nicht gewichen. »Mir haben die baulichen Veränderungen fürchterlich zu schaffen gemacht, sie haben mein Weingut vollkommen verschandelt, ihm jeden Charakter genommen«, presste er zwischen den Zähnen hervor, »ich werde das alles rückgängig machen.«
»Oder was Neues schaffen. Sie stehen längst nicht mehr da, wo Sie vor fünf Jahren waren.«
»Wenn ich wüsste, wo ich stehe, wäre mir wohler.«
An die Weine seines Nachfolgers hatte er sich gar nicht erst herangewagt, nicht einen probiert, »um mir nicht jedeIllusion zu nehmen. Ich will nicht wissen, was für Plörre man in meinem Weinberg keltern kann oder wie man ihn im Keller versauen kann.« Es gab Urteile von Dritten, von denen jedes vernichtender war als das andere. Das schmerzte Templin noch immer. »Gewisse Leute trinken alles. Man muss ihnen nur erzählen, dass es Weine von einem erfolgreichen Chefredakteur sind, von einem ausgestiegenen Investmentbanker, einem Fernsehstar, bei denen der Weinberg längst die Segeljacht abgelöst hat, damit gibt man heute an.«
Es würde eine Weile dauern, schätzte Henry, »vielleicht sogar Jahre«, bis Templin seinen Ruf zurückgewann – und seine ehemaligen Kunden. »Wenn ich kann, werde ich ihm zumindest dabei ein wenig helfen.«
»Wolltest du nicht bei uns einsteigen?«, warf Isabella vorsichtig ein und schmollte. »Wo willst du die Zeit dafür hernehmen? Bodegas Peñasco steckt genau wie Spanien in der schlimmsten Krise.« Das hatte sie auf Spanisch gesagt, es ging sonst niemanden etwas an.
Beide hatten bis spät in die Nacht diskutiert, wann, wie und mit welchen Kompetenzen Henry ins Familienunternehmen integriert werden könnte. Stimmrecht besaßen nur Anteilseigner, und die trugen alle den Namen Peñasco. Der Abschied von seinem unsteten Leben würde ihm schwerfallen, aber der wurde ihm durch die Verwüstung seines Büros in Barcelona leicht gemacht.
»
Anything goes, everything is possible
«, meinte Frank, sie waren längst wieder ins Englische gewechselt, um die Sprachverwirrung zu vermeiden, »irgendwie geht alles. Ich habe mich ja auch bei den Vanzettis erfolgreich eingeschlichen.«
»Aber das Neueste wisst ihr noch gar nicht«, meinte Henry hämisch und schämte sich nicht für seine Schadenfreude. »Neureuther ist gänzlich von dem Fall abgezogen worden, ihn haben sie geopfert. Der wird jetzt Verkehrspolizistin Titisee oben im Schwarzwald, oder er darf auf der Autobahn nach Temposündern fahnden. Er hat zu viele Fehler gemacht, aber ich glaube, dass seine Vorgesetzten letztlich froh darüber sind. In den Geschäftsunterlagen vom ›Il Calice‹ hätten sich womöglich Hinweise auf lokale Politiker gefunden. Jedenfalls ist er suspendiert, offiziell der Versäumnisse wegen. Jetzt gibt es nur noch Brunners Aussagen zur ’Ndrangheta. Um die zu untermauern, fehlen die Beweise. Der Lieferwagen vom Hotel, in dem das Begleitkommando die Akten abtransportiert hat, wurde ausgebrannt drüben in Frankreich gefunden. Der BMW war geliehen, mit falschen Papieren natürlich, und Frau Brunner wird, wenn sie nach der Gehirnoperation überhaupt jemals wieder wird sprechen können, kein Sterbenswörtchen sagen.«
»Das verbietet ihr die Familienehre«, sagte Frank, »oder sie wird auch noch ausgeschaltet. Und wie geht es mit unserem Sternekoch jetzt weiter?«
»Aus dem Gefängnishospital wurde er entlassen. Dem werden sie wohl eine neue Identität verpassen. Er lässt sich das Haar wachsen und kann, wenn er zwanzig Kilo abnimmt, unerkannt in Dänemark in einer Frittenbude Pölser aufwärmen. Aber was ist mit dem Wein? Deshalb sind wir schließlich hier.«
Henry stand der Mordfall Amber bis zum Hals. Er war der Weine wegen hier, genau wie alle anderen am Tisch. Der Wein war ihr Leben, und das ging weiter. Ob er später zu einem Prozess nach Deutschland reisen müsste, war offen, aber wen wollte man vor Gericht stellen? Frank hielt es für absolut ausgeschlossen, dass in Italien einer der ’Ndrangheta-Leute gefasst werden würde. Henry wiederum kannte drei Kandidaten, die sich bereits jetzt als mögliche Nachfolger für Alan Amber in Position gebracht hatten, das waren genau die, die am lautesten seinen Tod bejammerten
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