Sein letzter Burgunder
Eltern freuten sich riesig darüber, und es war auch gut, länger zu bleiben. Sie verstanden sich bestens, sie waren immer offen zueinander gewesen. Henry hielt das für einen der Gründe, weshalb er Journalist geworden war. Geheimnisse waren dazu da, aufgedeckt zu werden, alles musste bei Licht gehandhabt werden. Spionage wäre auch eine Option für ihn gewesen, aber für wen hätte er spionieren sollen, außer für die Öffentlich keit ? Da war er beim Journalismus richtig. Die meisten Kollegen verwechselten das Schreiben inzwischen leider mit Hofberichterstattung für Politiker und Verkaufsförderung für die Industrie.
Über die Drohbriefe verlor Henry kein Wort. Das Politische ängstigte seine Mutter, sie schleppte das Trauma ihrer Flucht seit fünfzig Jahren mit sich herum. Sie verkniff sich auch die Frage nach der Heirat und danach, wann er sein unstetes Leben aufgeben würde. Sie hätte es gern gesehen, wenn er Isabella geheiratet hätte, eine spanische Hochzeit wäre ihr ein Herzensbedürfnis gewesen. Aber nicht alle Wünsche gehen in Erfüllung. Trotzdem behandelte sie Isabella wie eine Tochter.
Mit dem Versprechen, nach getaner Arbeit im Kaiserstuhl wieder bei ihnen vorbeizuschauen, verabschiedete Henry sich nach zwei Tagen und fuhr zurück nach Mainz. Die Stadt, in der er dreißig Jahre gelebt hatte, war ihm fremd geworden. Nicht einen Bekannten oder Freund traf er auf seinem Fußweg durch die Stadt, er sah kein bekanntes Gesicht,und bei der Spedition, mit der er früher zusammengearbeitet hatte, ließ sich nur mit dem Inhaber und einem der Disponenten über alte Zeiten schwatzen.
Henry prüfte seine Lieferung. Nichts fehlte, und als er fragen wollte, ob er einen Teil seiner Musterflaschen bis nach der Challenge hier lassen könnte, überfiel ihn plötzlich ein ungutes Gefühl. Da er viel auf derartige Zeichen gab, ließ er seinen geliehenen Kombi bis an die Grenze der Belastbarkeit beladen. Er würde Meier bitten, die Proben in seiner Vinothek aufzubewahren.
Der Weinhändler stand immer auf der Besuchsliste, bei ihm hatte Henry jahrelang seinen Wein gekauft und ihm beim Aufbau eines exzellenten Sortiments südeuropäischer Weine geholfen. Jetzt konnte Meier helfen, er hatte badische Weine im Sortiment, darunter einige Kaiserstühler.
»Nur die besten aus Baden. Aber Gutedel aus dem Markgräfler Land darfst du nicht vergessen. Und den Tuniberg musst du besuchen.«
Würde Henry auf jeden Rat hören, wäre er Wochen unterwegs. »Ich suche ausschließlich Burgunder, Pinot Noir, Pinot Gris und Pinot Blanc vom Kaiserstuhl.«
»Was willst du damit in Spanien? Iberer trinken nur ihre eigenen Weine.«
»Auch Spanien wird internationaler.« Allerdings hatte Henry noch den Satz vom Pressechef von CVNE im Ohr. Henry sah sich im Laden um und entdeckte auch Flaschen dieser ansonsten sehr guten Kellerei. »Der Mann sagte damals, die Italiener könnten keinen Wein machen, und was sie anböten, sei einfach zum Kotzen.«
»Wie lange ist das her?«
»Fünf oder sechs Jahre. Der Pressechef war auch nicht lange auf seinem Posten.« Sie lachten über diese Absurdität. »Mir hat es den engen Horizont einiger Leute gezeigt. Und dagegen will ich was tun. Also, wen empfiehlst du mir?«
Meier nannte Namen wie den Freiherrn von Gleichensteinund Salwey in Oberrotweil, Stigler und Heger, das Weingut Probst in Vogtsburg-Achkarren sowie die dortige Winzergenossenschaft, dazu die von Oberbergen.
»Die kleinen Genossenschaften haben sich gewandelt. Einige funktionieren wie große Weingüter, da sitzen inzwischen fähige Leute, die gute Weine machen. Ich arbeite mit denen aus Oberbergen, die Lage Bassgeige sagt dir vielleicht etwas, da kommen sowohl gute wie auch bezahlbare Weine her. Ein Besuch lohnt sich, auch die Sasbacher sind gut geworden. Die gehören mit ihren Spätburgundern zu den Top Ten in Baden, und vom Schweizer Wettbewerb Mondial du Pinot Noir haben sie eine Goldmedaille mitgebracht. Am Tuniberg arbeite ich mit dem Weingut Kalkbödele. Soll ich was aufmachen, willst du was probieren, als Einstimmung?« Meier schien dazu aufgelegt, zumal am Vormittag niemand im Laden war.
Henry winkte ab. »Der Tipp reicht mir, ich fahre sowieso hin, wenn die Challenge in Baden-Baden gelaufen ist. Oberbergen stand bisher nicht auf meinem Besuchsplan.«
»Du solltest hinfahren. Es kommt allerdings darauf an, was du suchst.«
»Burgunder, gut bis Spitze, Weiß sowohl wie Grau und Spät.«
»Haben wir alles.«
Meier zierte sich
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